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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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Kriegskasse. Darüber gäbe es keine Belege und keine Abrechnungspflicht, Slütter müsse den Empfang des Geldes weder quittieren noch dem Deutschen Reich steuerliche Aufwartungen machen. Hahl benötige lediglich einen Willigen, der ein, zwei Schüsse abgibt und danach das Schutzgebiet wieder verläßt.
    Slütter muß husten und besieht sich seine Hände. Schweigen. Nein, er wolle das nicht tun. Das ist, sagt er, eine Schuld, mit der er nicht leben will. Hahl, der sich eine Zigarette anzündet und, Nachdenklichkeit suggerierend, eine Weile den still empor schlängelnden Rauch des brennenden Stäbchens betrachtet, holt aus, ja, er sähe ein, daß das Gefühl der Schuld seinen Quell in der Zivilisierung des Mannes habe, der unter dem Druck, in einer organisierten Gesellschaft zu leben, seinen Aggressionstrieb nach innen, ergo gegen sich selbst lenke. Engelhardt denke vermutlich ganz ähnlich. Aber nichtsdestotrotz und schlußendlich sei dies eine Kolonie. Und der Koloniebegriff beinhalte nun einmal die Termini anpflanzen, bearbeiten, besiedeln, erschließen, ertragreich machen, ja, nutzbar machen. Das seien die Ordnungen, mit denen er arbeite. Sein Amt, welches ihm zuvorderst die Interessen des deutschen Volkes zu vertreten auftrage, befähige ihn zur Ausübung gesetzlicher, vernunftvoller Macht, um die Kolonie zu erhalten. Werde aber sein Einflußbereich durch, wie in diesem Falle, Anarchie und Irrsinn touchiert, dann müsse er handeln, ja, zu äußersten Mitteln greifen, das sei sozusagen sein kategorischer Imperativ (daß sich inzwischen drüben auf Kabakon alles weitaus schlimmer darstellt als von ihm geschildert, liegt jenseits seiner Vorstellungskräfte).
    Slütter, der keine Philosophen liest, verneint abermals, nimmt seine Kapitänsmütze und erhebt sich um zu gehen. Ob er denn wenigstens einen Revolver besitze, will Hahl wissen. Ja, durchaus, unten auf der Jeddah habe er einen. Und Hahl, der seinen Posten nicht innehätte, könnte er nicht mit einer an Grausamkeit grenzenden Berechnung handeln, entbietet nickend dem Seemann einen kurzen Abschiedsgruß, dieser hat schon die Veranda betreten, da zaubert der Gouverneur aus der Jackettasche ein Schreiben hervor, aus welchem hervorgeht, daß das junge Mädchen Pandora, einzige Tochter von Frederic Thesiger, Viscount Chelmsford, dem Gouverneur von New South Wales, die aus einem Internat in Sydney geflohen, in Rabaul festzuhalten sei, bis die relevanten Repräsentanten Ihrer britannischen Majestät George hier eingetroffen, sie eingesammelt und retour nach Australien verschifft hätten. Slütter zuckt unmerklich zusammen, schlafwandelt zurück ins Empfangszimmer, setzt sich wieder hin, schüttelt den Kopf, ergibt sich, es ist genug; Hahl, der ihm den Brief hinhält, hinübergeht zur Anrichte und beiden ein Glas Whisky einschenkt, hat gewonnen.
     
    XII
     
    Am Abend steht Lützow etwas abseits auf der gräsernen Anhöhe zur Gouverneursresidenz. Lampionketten hängen zwischen den Palmwipfeln, Glühwürmchen steigen tanzend aus Büschen empor. Ein Schwarm Abertausender Fledermäuse fliegt geräuschlos landeinwärts, um die Nacht tief im Urwald schlafend zu verbringen. Die Sonne ist bereits untergegangen, aber dort, hinter dem Vulkan, ist noch das ferne Leuchten des sanft verblassenden Tages zu erkennen. Kapitän Slütter, weiße Uniform tragend, sitzt rauchend und in Gedanken versunken auf der Veranda, sein grausamer Auftrag erdrückt ihn. Neben ihm leert Pandora, deren Füße in anmutigen Lackschuhen ruhen (woher hat sie sie bloß?) und nicht ganz bis hinunter zum Boden reichen, einen großen Teller Ingwerbiskuits. Auf der Wiese singt der gute Dr. Wind im belustigten Halbrund einiger Pflanzer Che gelida manina aus La Boheme. Hahl ist aus irgendeinem Grunde nicht zugegen, livrierte Chinesen reichen Gläser mit zuckrigem Punch, Lützow raucht seine erste, ihm fantastisch schmeckende Zigarette seit einem Jahr, es ist eine deutsche Marke. Er entfernt mit der Fingerspitze einen Tabakbrösel von der Unterlippe und sieht hinaus auf die sich verdunkelnde Bucht, da gleitet eine nicht mehr ganz junge Frau auf ihn zu und erklärt mit beiläufiger Eleganz und ohne sich vorzustellen, sie sei erleichtert, daß Lützow nun nicht mehr drüben bei dem Nackten sei, aber er habe diese Zeit auch nötig gehabt, gesundet sehe er aus, an der Seele gesundet.
    Lützow, dessen Erinnerungen an die ihm damals schrecklich erschienenen musikalischen Auftritte im Deutschen Klub verblaßt und nicht

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