Imperium
Circus: von den Wagenlenkern und halb nackten Athleten (Boxer, Ringer, Läufer, Speer- und Diskuswerfer), den Flöten- und Leierspielern, den als Bacchanten und Satyren verkleideten Tänzern, den Weihrauchfässern, den Stieren, Ziegen und Färsen, die mit vergoldeten Hörnern ihrer Opferung entgegentrotteten, den Käfigen mit den wilden Tieren, den Gladiatoren … Er schien noch ganz benebelt zu sein von dem Schauspiel. »Was das wohl alles gekostet hat? Die Frage hat mich die ganze Zeit nicht losgelassen. Anscheinend rechnet Hybrida fest damit, dass er das später in seiner Provinz alles wieder reinholen kann. Du hättest hören sollen, wie sie ihm zugejubelt haben beim Einzug und hinterher beim Auszug aus dem Circus. Ich kann an dem Ganzen nichts finden, Tiro.Tja, kaum zu fassen, aber es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als unsere Liste zu ergänzen. Los, komm mit.«
Zusammen gingen wir in sein Arbeitszimmer, wo ich die Geldtruhe öffnete und alle Unterlagen herausnahm, die in Zusammenhang mit Ciceros Wahlkampf für das Konsulat standen. Dazu gehörten jede Menge geheimer Listen - von Förderern und Geldgebern, von Sympathisanten, die er aber noch auf seine Seite ziehen musste, von Städten und Regionen, in denen er stark, und solchen, in denen er schwach war. Die Schlüsselliste war jedoch die, auf der die möglichen Rivalen einschließlich aller über sie bekannten Informationen - pro und contra - verzeichnet waren. Ganz oben stand Galba, als Nächster kam Gallus, dann Cornificius und schließlich Palicanus. Cicero nahm mir die Schreibfeder aus der Hand und schrieb in seiner akkuraten, winzigen Handschrift einen fünften Namen dazu, den ich nie auf dieser Liste erwartet hätte: Antonius Hybrida.
Und dann, ein paar Tage später, geschah etwas, das Ciceros Schicksal und die Zukunft des Staates in vollkommen neue Bahnen lenkte - obwohl Cicero das zu jener Zeit nicht erkannte. Dabei fällt mir die mitunter erzählte Geschichte von dem harmlos aussehenden Fleck ein, den ein Mann eines Morgens auf seiner Haut entdeckt, sich nichts weiter dabei denkt, der sich aber in den folgenden Monaten zu einem riesigen Tumor auswächst. In unserem Fall war der Fleck eine Botschaft, die aus heiterem Himmel ins Haus flatterte und in der Cicero aufgefordert wurde, beim Pontifex maximus Metellus Pius vorstellig zu werden. Pius war sehr alt (vierundsechzig, mindestens) und eine so hochstehende Persönlichkeit, dass er sich bislang noch nie dazu herabgelassen hatte, mit Cicero ein Wort zu wechseln, geschweige denn ihn zu einem Gespräch einzubestellen. Cicero war folglich äußerst neugierig, und so machten wir uns mit den Liktoren, die für freie Bahn sorgten, sofort auf den Weg.
In jenen Tagen befand sich der Amtssitz des Oberhaupts der Staatsreligion in der Via Sacra, neben dem Haus der Vestalinnen, und ich kann mich noch erinnern, wie erfreut Cicero war, dass die Leute ihn dort eintreten sahen. Das Gebäude war das geistliche Zentrum Roms, und nicht viele Menschen erhielten jemals die Chance, einen Fuß über dessen Schwelle zu setzen. Man führte uns eine Treppe hinauf und dann durch eine lange Galerie, von wo man in den Garten der Vestalinnen hinunterblicken konnte. Insgeheim hoffte ich, einen Blick auf eine jener sechs geheimnisvollen, in weißes Tuch gekleideten Jungfrauen werfen zu können, aber der Garten lag verlassen da. Stehen bleiben konnten wir auch nicht, denn am Ende der Galerie wartete schon der obeinige Pius auf uns, der, flankiert von mehreren Priestern, ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden stapfte. Er war sein Leben lang Soldat gewesen, und sein Gesicht hatte das rissige, aufgeraute Aussehen von Leder, das jahrelang bei Wind und Wetter vor der Tür gelegen hatte und erst kürzlich ins Trockene geholt worden war. Ohne Cicero die Hand anzubieten oder einen Stuhl, ohne jede Höflichkeitsfloskel kam er sofort zur Sache und sagte mit heiserer Stimme: »Prätor, ich muss mit dir über Sergius Catilina sprechen.«
Bei der bloßen Erwähnung des Namens versteifte sich Ciceros Körper. Catilina war der Mann, der seinen entfernten Vetter, den populären Politiker Gratidianus, zu Tode gefoltert hatte, indem er ihm die Knochen gebrochen, die Augen ausgestochen und die Zunge herausgerissen hatte. Catilina war, als wäre ihm ein gezackter Blitz ins Hirn gefahren, von einem gewalttätigen Wahnsinn besessen. Er war liebenswürdig, kultiviert und freundlich, dann machte jemand eine scheinbar harmlose Bemerkung
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