Imperium
vor, das Veto eines anderen Volkstribunen gesetzwidrig missachtet zu haben. Angesichts eines derart schwerwiegenden Vorwurfs war ich mir sicher, dass man Cornelius ins Exil schicken würde. Er war offenbar der gleichen Meinung, denn er hatte seinen Hausstand schon zusammengepackt und war bereit zur Abreise. Wie immer jedoch, wenn seine Gegner Hortensius und Catulus hießen, lief Cicero zu Hochform auf und hielt zum Abschluss seiner Verteidigung eine äußerst eindrucksvolle Rede. »Sollen wir uns tatsächlich über die traditionellen Rechte von Volkstribunen von fünf hochgestellten Senatoren belehren lassen«, fragte er, »die allesamt die Gesetze Sullas unterstützt haben, mit denen dieser eben jene Rechte abgeschafft hat? Ist einer von diesen illustren Senatoren aufgestanden und hat den tapferen Gnaeus Pompeius unterstützt, als dieser in seiner ersten Amtshandlung als Konsul das Vetorecht der Tribunen wiederhergestellt hat? Die entscheidende Frage lautet doch: Ist es wirklich die plötzliche Sorge um die Traditionen des Volkstribunats, die diese Senatoren dazu bewegt hat, die Fischteiche und Säulengänge ihrer Landsitze zu verlassen und vor Gericht zu ziehen? Oder sind es nicht vielmehr gewisse andere ›Traditionen‹, die ihnen viel mehr am Herzen liegen - nämlich ihr traditionelles Eigeninteresse und ihr traditionelles Verlangen nach Rache?«
In ähnlichem Ton ging es noch eine Zeit lang weiter, und als Cicero schließlich zum Ende kam, hatte es den Anschein, als seien die fünf berühmten Klageführer (die den Fehler gemacht hatten, nebeneinander Platz zu nehmen) auf die Hälfte ihrer Größe geschrumpft - vor allem Pius, der mit gewölbter Hand am Ohr auf seinem Platz hin und her rutschte und anscheinend Schwierigkeiten hatte, den Ausführungen seines umherwandernden Peinigers zu folgen. Dies sollte einer der letzten öffentlichen Auftritte des alten Soldaten gewesen sein, bevor sich die lange Dämmerung seiner Krankheit endgültig auf ihn herabsenkte. Nachdem die Geschworenen Cornelius von allen Anklagepunkten freigesprochen hatten, verließ Pius unter höhnischem Gelächter das Gericht. Dabei war sein Gesicht gezeichnet von seniler Verwirrung, welche heute, so fürchte ich, auch der naturgemäße Ausdruck meiner eigenen Züge ist. Als wir uns für den Heimweg fertig machten, sagte Cicero mit gewisser Befriedigung: »Jedenfalls wird er jetzt wohl wissen, wer ich bin.«
Ich werde nicht alle Prozesse erwähnen, die Cicero in dieser Zeit führte, denn es müssen Dutzende gewesen sein. Alle aber waren Teil seiner Strategie, sich möglichst viele einflussreiche Männer zur Unterstützung seiner Konsulatskandidatur zu verpflichten und dafür zu sorgen, dass sein Name in den Köpfen der Wähler immer präsent blieb. Seine Klienten suchte er natürlich sehr sorgfältig aus. Unter ihnen waren wenigstens vier Senatoren: Fundanius, der einen großen Wählerverein kontrollierte; Orchivius, der einer seiner Prätorenkollegen gewesen war; Gallius, der seine Kandidatur zum Prätor betrieb; und Mucius Orestinus, der sich Hoffnung auf den Posten eines Volkstribunen machte, aber im Augenblick noch des Raubes angeklagt war und dessen Fall unsere Kanzlei für viele Tage vollauf beschäftigte.
Ich glaube, dass nie zuvor irgendein Kandidat das Geschäft der Politik als genau das betrieben hat - als Geschäft nämlich. Jede Woche gab es eine Sitzung in Ciceros Arbeitszimmer, um den Verlauf des Wahlkampfs zu überwachen. Verschiedene Teilnehmer kamen und gingen, aber der harte Kern bestand aus den immer gleichen fünf Personen: Cicero, Quintus, Frugi, mir und Ciceros Lehrling Caelius Rufus, der, obwohl noch sehr jung (vielleicht aber auch gerade deswegen), ein Meister darin war, in der Stadt umlaufende Gerüchte aufzuspüren. Quintus fungierte einmal mehr als Wahlkampforganisator. Er bestand darauf, die Sitzungen zu leiten. Mit einem nachsichtigen Lächeln oder einer hochgezogenen Augenbraue deutete er gelegentlich an, dass Cicero, so genialisch er auch sein mochte, eben doch etwas von einem intellektuellen Luftikus an sich hatte, der den nüchternen und gesunden Menschenverstand seines Bruders benötigte, damit er nicht die Bodenhaftung verlor. Cicero machte dieses Spiel seines Bruders mehr oder weniger bereitwillig mit.
Falls mir in meinem Leben noch genügend Zeit dafür bliebe, dann wäre es eine interessante Aufgabe, eine Studie über Brüder in der Politik zu schreiben. Als Erstes böten sich natürlich Tiberius und
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