Imperium
Liktoren an, höflicher zu sein, was sie dann eine Zeit lang auch waren, um schon bald wieder in ihre alten Gewohnheiten zu verfallen. Ihr Anführer, der proximus lictor, der dazu verpflichtet war, nie von Ciceros Seite zu weichen, war besonders widerwärtig. Sein Name fällt mir gerade nicht ein, aber er erzählte Cicero immer den neuesten Klatsch über die anderen Prätoren und merkte gar nicht, dass ihn das in Ciceros Augen zutiefst verdächtig machte. Die Geschichten wurden ihm natürlich von seinen Kollegen hinterbracht, und Cicero wusste nur zu gut, dass Klatsch Handelsware war und das Zahlungsmittel dafür Berichte über seine eigene Person waren. »Diese Leute«, klagte Cicero eines Morgens mir gegenüber, »sind eine Warnung für jeden Staat, der einen festen Beamtenstab unterhält. Am Anfang sind sie unsere Diener, und am Ende bilden sie sich ein, sie seien unsere Herren.«
Mit Ciceros Status verbesserte sich auch meiner. Wenn man der bekannte Privatsekretär eines Prätors war, so stellte ich fest, legten die Leute, selbst wenn man Sklave war, eine ungewohnte Höflichkeit an den Tag. Cicero hatte mir schon im Voraus erzählt, dass Bittsteller mir sicher Geld anbieten würden, damit ich meinen Einfluss geltend machte. Als ich leidenschaftlich beteuerte, dass ich mich nie bestechen lassen würde, fiel er mir gleich ins Wort. »Du solltest ruhig etwas eigenes Geld haben, Tiro. Warum nicht? Ich bitte dich nur, mir zu erzählen, wer dir etwas bezahlt, und jedem, der dir etwas anbietet, klarzumachen, dass man mein Urteil nicht kaufen kann und ich meine Entscheidung immer aufgrund sachlicher Erwägungen fälle. Alles andere überlasse ich deinem Urteilsvermögen.« Diese Unterhaltung bedeutete mir sehr viel. Ich hatte immer gehofft, dass Cicero mich eines Tages in die Freiheit entlassen würde; dass er mir erlaubte, etwas eigenes Geld zu sparen, betrachtete ich als Vorbereitung auf diesen Tag. Die einlaufenden Beträge waren klein - fünfzig Sesterzen hier, hundert da. Als Gegenleistung erwartete man zum Beispiel von mir, dass ich dem Prätor ein bestimmtes Dokument zur Kenntnis brachte oder ein Empfehlungsschreiben aufsetzte und ihm zur Unterschrift vorlegte. Die Münzen wanderten in eine kleine Geldbörse, die ich hinter einem losen Stein in der Wand meiner Schlafkammer aufbewahrte.
Als Prätor wurde von Cicero erwartet, dass er vielversprechende Schüler aus guten Familien aufnahm, die bei ihm die Rechte studierten. Im Mai, nach der Sitzungspause des Senats, kam ein neuer Schüler ins Haus. Es war der sechzehnjährige Marcus Caelius Rufus aus Interamnia, der Sohn eines reichen Bankiers und prominenten Funktionärs des Wahlbezirks Velina. Politische Gefälligkeit, das war wohl der Hauptgrund, warum Cicero sich bereitfand, für zwei Jahre die Ausbildung des Jungen zu beaufsichtigen. Danach, so kam man überein, würde der junge Mann für den Rest seiner Lehrzeit in einen anderen Haushalt wechseln - und zwar, wie es der Zufall wollte, in den von Crassus, der ein Geschäftspartner von Caelius ' Vater war. Der Bankier war sehr darauf bedacht, dass sein Sohn lernte, wie man ein großes Vermögen verwaltete. Der Vater war einer von diesen abscheulichen Geldverleihertypen, klein und verschlagen, der seinen Sohn anscheinend für eine Investition hielt, die keinen angemessenen Profit abwarf. »Er braucht regelmäßig seine Prügel«, verkündete er, kurz bevor er seinen Sohn in Ciceros Arbeitszimmer rief. »Intelligent ist er, aber auch widerspenstig und leichtlebig. Du hast meine Erlaubnis, ihn, sooft du willst, die Peitsche spüren zu lassen.« Cicero schaute den Bankier argwöhnisch an, in seinem ganzen Leben hatte er noch niemanden mit der Peitsche malträtiert. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass er gut auskam mit dem jungen Caelius, der seinem Vater nicht unähnlicher hätte sein können. Er war groß und attraktiv und stand allem, was mit Geld und Geschäften zu tun hatte, entschieden gleichgültig gegenüber. Cicero fand das komisch, ich weniger. Denn in der Regel blieben all die öden Arbeiten, die eigentlich Caelius hätte ausfuhren müssen, vor deren Erledigung er sich aber drückte, an mir hängen. Trotzdem, rückblickend muss ich zugeben, dass er ein liebenswürdiger Bursche war.
Ich werde mich nicht lange mit den Einzelheiten von Ciceros Prätur aufhalten. Schließlich ist das hier kein Lehrbuch für Juristen, und ich spüre schon, wie man förmlich danach giert, dass ich endlich zum Höhepunkt
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