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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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hat. Cicero hatte das große Glück, zwei Könner auf diesem Gebiet angeheuert zu haben, Ranunculus und Filum, die ihm vorausreisten und dafür sorgten, dass er in jeder Stadt von einer ansehnlichen Anhängerschar erwartet wurde. Für die beiden Haudegen gab es keinen einzigen weißen Fleck auf der Wahlkreislandkarte Italiens. Sie wussten, wer von den lokalen Rittern es Cicero übel nähme, wenn er ihnen nicht seinen Respekt zollte, und wem man besser aus dem Weg ging; welche die bedeutendsten Wahlbezirke und Zenturien in jeder Region waren und welche höchstwahrscheinlich einmal wichtig werden könnten; welche Themen die Bürger am meisten bewegten und welche Zusagen sie als Gegenleistung für ihre Stimmen erwarteten. Obwohl sie kein anderes Gesprächsthema als Politik kannten, konnte Cicero mit ihnen bis spät in die Nacht hinein Fakten und Geschichten austauschen und war dabei so glücklich, als unterhielte er sich mit einem Philosophen oder sonst einem geistreichen Menschen.
    Selbst wenn ich mich noch an alle Einzelheiten der Kampagne erinnerte, ich hätte nicht vor, sie hier aufzuzählen. Bei allen Göttern, ein Haufen Asche wäre alles, was bei näherer Betrachtung von den meisten politischen Karrieren übrig bliebe. Früher hätte ich die Namen aller Konsuln der letzten hundert und die der meisten Prätoren der letzten vierzig Jahre auswendig gewusst. Inzwischen haben sie sich fast alle aus meinem Gedächtnis verabschiedet, ausgelöscht wie die Lichter in der Bucht von Neapel um Mitternacht. Kein Wunder, dass die Städte und Menschenmengen aus Ciceros Wahlkampf zu einem einzigen allgemeinen Eindruck verschmolzen sind, der aus geschüttelten Händen, gehörten Geschichten, ertragenem Stumpfsinn, empfangenen Petitionen, erzählten Witzen, gegebenen Garantien sowie besänftigten und umschmeichelten Lokalgrößen besteht. Der Name Cicero war damals berühmt, sogar außerhalb Roms. Die Leute strömten in Massen herbei, um ihn zu sehen, besonders in den größeren Städten mit eigener Rechtsprechung, wo seine Anklagereden aus dem Fall Verres - selbst diejenigen, die er gar nicht gehalten hatte - in zahllosen Kopien im Umlauf waren. Er war ein Held für die unteren Schichten wie für die angesehenen Ritter, die ihn als einen Streiter gegen die Habgier und den Snobismus der Aristokratie betrachteten. Aus diesem Grund öffneten sich ihm auch nur sehr selten die Türen der großen patrizischen Familien. Wenn wir an deren Anwesen vorbeikamen, wurden wir oft verhöhnt und gelegentlich auch mit diversen Gegenständen beworfen.
    Wir eilten weiter Richtung Norden, widmeten entlang der Via Flaminia jeweils einen Tag jeder etwas größeren Stadt - Narnia, Carsulae, Mevania, Fulginia und Tadinum - und erreichten etwa zwei Wochen nach unserer Abreise aus Rom schließlich die Adriatische Küste. Es lag schon einige Jahre zurück, dass ich das Meer zum letzten Mal gesehen hatte, und als hinter dem Staub und Gestrüpp das glitzernde Blau auftauchte, war ich so aufgeregt wie ein kleines Kind. Es war ein wolkenloser und milder Nachmittag, der verirrte Nachzügler eines schon lange verblassten Sommers. Spontan ließ Cicero anhalten, sodass wir alle an den Strand gehen konnten. Merkwürdig, welche Dinge einem unauslöschlich in Erinnerung bleiben. Während ich die politischen Details jener Reise fast alle vergessen habe, so erinnere ich mich immer noch genau an jede Einzelheit dieser einstündigen Rast - an den Geruch des Seegrases und den Geschmack der salzigen Gischt auf meinen Lippen; an die Wärme der Sonne auf meinen Wangen; an das Klackern der Kiesel, wenn die Wellen auf den Strand schlugen, und das Rauschen, wenn sie sich wieder zurückzogen; und an Ciceros Lachen, als er zu demonstrieren versuchte, wie Demosthenes angeblich seine Sprechtechnik verbessert haben soll, indem er nämlich seine Reden mit dem Mund voller Kieselsteine einstudierte.
    Ein paar Tage später, in Ariminum, bogen wir auf die Via Aeinilia ein und wandten uns nach Westen, weg vom Meer in die Provinz Gallia Cisalpina. Ab jetzt spürten wir den schneidenden Wind des nahenden Winters. Zu unserer Linken ragten steil die schwarzpurpurnen Berge des Apennin auf, zu unserer Rechten erstreckte sich das Delta des Po grau und flach bis zum Horizont. Ich hatte das seltsame Gefühl, dass wir uns in der Ecke eines großen Raumes befanden und wie Insekten am Fuß einer Wand entlangkrabbelten. Das zu jener Zeit alles beherrschende politische Thema in Gallia Cisalpina war das

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