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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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nimmer hätte ich damit gerechnet: Die Aristokraten unterstützten Cicero! Sofort drehten sich Hortensius ' Begleiter um und verschwanden in alle Richtungen in der Menschenmenge - wahrscheinlich, um den Zenturien mitzuteilen, dass sie ihr Abstimmungsverhalten zu ändern hätten. Ich riskierte einen Blick zu Catilina und sah auf seinem Gesicht nichts als Verblüffung. Der Vorfall war einerseits von so offensichtlicher Bedeutung gewesen, dass die Menschen immer noch darüber redeten, hatte sich aber andererseits mit einer Beiläufigkeit abgespielt, dass Minuten später Hortensius schon wieder verschwunden war. Kurz darauf forderte Figulus die Kandidaten auf, ihm zum Podium zu folgen, damit er die Abstimmung eröffnen könne.
     

     
    Einen Idioten erkennt man sofort. Es ist der Mann, der immer genau weiß, wie eine Wahl ausgeht. Aber eine Wahl ist ein lebendiges Wesen - man könnte fast sagen, sie ist das vitalste Lebewesen überhaupt: mit Abertausenden von Gehirnen, Gliedmaßen und Augen, mit Abertausenden von Gedanken und Sehnsüchten; es windet und wendet sich und schlägt unvorhersehbare Richtungen ein, und das manchmal nur spaßeshalber, um den Schlaubergern zu zeigen, wie falsch sie liegen. Das jedenfalls habe ich gelernt, während an jenem Tag auf dem Marsfeld das Prozedere der Wahl seinen Lauf nahm. Die Eingeweide wurden untersucht, der Vogelflug am Himmel auf verdächtige Bewegungen beobachtet und der Segen der Götter erfleht; Epileptiker wurden aufgefordert, das Marsfeld zu verlassen (in jenen Tagen hatte ein epileptischer Anfall - morbus comitialis - zur Folge, dass die Wahl automatisch für ungültig erklärt werden musste); eine Legion wurde in Marsch gesetzt, um die Zufahrtsstraßen nach Rom gegen einen Überraschungsangriff zu sichern; die Kandidatenliste wurde verlesen, das Trompetensignal ertönte, über dem Janiculum-Hügel wurde die rote Flagge gehisst, und dann schritt das römische Volk zur Wahl.
    Das Los entschied über die Ehre, welche der einhundertdreiundneunzig Zenturien als erste ihre Stimme abgeben durfte. Mitglied dieser sogenannten centuria praerogativa zu sein wurde als seltene Gnade betrachtet, denn ihre Entscheidung gab oft die Richtung für die gesamten Wahlen vor. Nur die reichsten Zenturien waren berechtigt, an der Auslosung teilzunehmen. Ich weiß noch, wie die damaligen Gewinner, eine Ansammlung strammer Kaufleute und Bankiers, wichtigtuerisch über die Holzbrücke schritten und hinter den Abtrennwänden verschwanden. Ihre Stimmen waren schnell ausgezählt, Figulus trat an die Rampe des Podiums und verkündete, dass sie für Cicero an erster und Catilina an zweiter Stelle gestimmt hatten. Erstaunte Rufe wurden laut, denn all die Idioten, von denen ich eben gesprochen habe, hatten Catilina als Sieger und Hybrida als Zweiten vorhergesagt. Als Ciceros Anhänger begriffen, was geschehen war, wurden die erstaunten Rufe schnell von Jubelgebrüll übertönt, das sich über das ganze Marsfeld ausbreitete. Cicero stand unter dem Baldachin, den man vor dem Podium des Konsuls aufgespannt hatte. Er gestattete sich nur den Hauch eines flüchtigen Lächelns und setzte dann - Schauspieler, der er war - eine Miene voller Würde und Autorität auf, die auch einem römischen Konsul gut zu Gesicht gestanden hätte. Getrennt durch alle anderen Kandidaten, so weit weg von ihm wie nur möglich, stand Catilina. Er sah aus, als hätte man ihm ins Gesicht geschlagen. Nur Hybridas Gesichtsausdruck war nichtssagend - ob das daran lag, dass er wie üblich betrunken war, oder an seiner Dummheit, die ihm verwehrte, das gerade Geschehene zu begreifen, kann ich nicht sagen. Crassus und Caesar hatten lässig miteinander plaudernd an der Stelle gestanden, wo die Wähler nach der Stimmabgabe hinter der Absperrwand hervortraten. Als ich jetzt ihre Gesichter sah, hätte ich am liebsten laut gelacht, so entgeistert schauten sie sich an. Sie besprachen sich kurz, dann machte sich jeder in höchster Eile in eine andere Richtung davon - zweifellos, um nachzuforschen, wie es geschehen konnte, dass zwanzig Millionen Sesterzen nicht ausgereicht hatten, um die centuria praerogativa einzukaufen.
    Wenn Crassus tatsächlich die von Ranunculus geschätzten achttausend Stimmen gekauft hatte, hätte das normalerweise genügen müssen, um die Wahl zu seinen Gunsten zu entscheiden. Allerdings war die Wahlbeteiligung dank des großen Interesses in ganz Italien in diesem Jahr außergewöhnlich hoch. Während die Abstimmung

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