Imperium
bearbeitete ich ihn so lange, bis er mir den Wohnungsschlüssel gab. Ich überzeugte mich davon, dass auf der Straße vor dem Haus keine verdächtigen Personen herumlungerten, sagte Sthenius, dass das Haus sicher sei, und brachte ihn dann in seine neue Unterkunft.
Sthenius befand sich im Zustand tiefster Depression. Sein Traum von der Rückkehr in die Heimat war zerstört, und ihn trieb die schreckliche Angst um, jeden Augenblick verhaftet zu werden. Als er das verwahrloste Gebäude in Subura zum ersten Mal sah und ich ihm sagte, von nun an werde er hier leben müssen, hat er wahrscheinlich geglaubt, dass auch wir ihn jetzt im Stich gelassen hätten. An den Wänden des düsteren Treppenhauses befanden sich frische Brandspuren. Über wackelige Stufen stiegen wir in den fünften Stock hinauf zu einem Zimmer, das mehr einer Zelle glich. Auf dem Fußboden lag eine Strohmatte, und durch das winzige Fenster war nur ein ähnliches Zimmer auf der anderen Seite der Gasse zu sehen, und zwar so nah, dass er seinen neuen Nachbarn per Handschlag hätte begrüßen können. Als Latrine diente ein Eimer. Wenn das Zimmer auch keinen Komfort bot, so bot es ihm wenigstens Sicherheit - für völlig Fremde in diesem labyrinthischen Elendsviertel war es fast unmöglich, ihn jemals zu finden. Mit wehleidiger Stimme bat er mich, noch eine Weile bei ihm zu bleiben, doch ich musste dringend zurück, um alle den Fall betreffenden Dokumente zusammenzusuchen, damit Cicero sie den Volkstribunen vorlegen konnte. Wir befänden uns in einem Wettlauf mit der Zeit, erklärte ich ihm, und war in der nächsten Sekunde wieder weg.
Das Hauptquartier der Volkstribunen befand sich gleich neben dem Senatsgebäude, in der alten Basilica Porcia. Auch wenn das Volkstribunat einem Skelett glich, dem man alles Fleisch der Macht von den Knochen genagt hatte, so pilgerten doch immer noch viele Menschen hierher. Für die Zornigen und Enteigneten, für die Hungrigen und Kämpferischen war die Basilika der Volkstribunen eine beliebte Anlaufstelle. Als Cicero und ich das Forum überquerten, sahen wir eine ziemlich große Menschenmenge, die sich auf den Stufen zusammendrängte, um das Geschehen im Inneren mitverfolgen zu können. Mit der Aktentasche in der Hand tat ich mein Bestes, um dem Senator einen Weg durch die Menge zu bahnen. Da diese Sorte Bürger nicht zu jener gehörte, die einem Träger der purpurgesäumten Toga allzu viel Sympathie entgegenbrachte, musste ich für meine Mühen den einen oder anderen Fluch und Fußtritt einstecken. Es gab zehn Volkstribunen, die jährlich vom Volk gewählt wurden. Sie saßen in dem eher kleinen Raum auf den immer gleichen langen Holzbänken unter einem Wandgemälde, auf dem die Niederlage der Karthager dargestellt war. Es war voll, es war laut, und es war warm - trotz der Dezemberkälte draußen. Ein junger Mann, der seltsamerweise barfuß war, hielt gerade eine flammende Rede an den Mob. Der Bursche hatte hässliche, grobe Züge und eine widerwärtige, krächzende Stimme. In der Basilica Porcia trieben sich immer jede Menge Spinner herum, und für einen solchen hielt ich den Kerl zunächst, da seine Rede sich ausschließlich darum zu drehen schien, warum man eine ganz bestimmte Säule unter gar keinen Umständen abreißen oder auch nur um einen Fuß versetzen dürfe, um mehr Raum für die Volkstribunen zu schaffen. Und dennoch schenkten ihm die Anwesenden unerfindlicherweise ihre Aufmerksamkeit. Auch Cicero hörte ihm interessiert zu und erkannte schließlich - vermutlich weil der Redner sich immer wieder auf »meinen Vorfahren« bezog -, dass es sich bei dieser sonderbaren Gestalt um niemand anderen als den Urenkel des berühmten Marcus Porcius Cato handelte, den Erbauer und Namensgeber der Basilika.
Ich erwähne diesen Vorfall, weil der junge Cato, der damals dreiundzwanzig Jahre alt war, später noch eine wichtige Rolle spielen sollte - sowohl im Leben Ciceros als auch beim Niedergang der Republik. Nicht dass irgendwer das damals auch nur geahnt hätte. Er machte vielmehr den Eindruck, als würde er unausweichlich in der Irrenanstalt landen. Er beendete seine Ansprache und drängte mit wirrem Tunnelblick zum Ausgang, wobei er mich fast über den Haufen rannte. Ich erinnere mich noch an seinen animalischen Körpergeruch, an die verfilzten, schweißnassen Haare und die tellergroßen Schwitzflecken unter den Achseln seiner Tunika. Aber er hatte sein Ziel erreicht: Solange das Gebäude stand - was beklagenswerterweise
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