Imperium
untergehen. Ich kümmere mich jetzt sofort um meine Ansprache für morgen, und du, Quintus, du sorgst dafür, dass ich jede Menge Publikum habe. Fordere jede noch ausstehende Gefälligkeit ein. Und wie wär ' s, wenn du mit deinem Spruch vom gerechtesten Rechtssystem der Welt ein paar angesehene Senatoren dazu überredest, mich auf dem Weg zum Forum zu begleiten? Möglich, dass dir einige von ihnen diesen Spruch sogar abnehmen. Wenn ich morgen vor den Gerichtshof trete, will ich, dass Glabrio das Gefühl hat, ganz Rom schaut ihm auf die Finger.«
Niemand kann behaupten, etwas von Politik zu verstehen, wenn er sich nicht einmal eine ganze Nacht um die Ohren geschlagen hat, um eine Rede für den folgenden Tag zu schreiben. Während die Welt schläft, geht der Redner bei Kerzenlicht rastlos auf und ab und fragt sich, welcher Wahnsinn ihn nur in diesen Beruf getrieben hat. Argumente werden entwickelt und wieder verworfen. Entwürfe für Eröffnungspassagen, Mittelteile und Schlussbemerkungen liegen verstreut auf dem Boden herum. Der erschöpfte Geist verweigert schließlich jeden weiteren klaren Gedanken, sodass - gewöhnlich ein oder zwei Stunden nach Mitternacht - der Zeitpunkt gekommen ist, an dem nur noch eine einzige realistische Option infrage zu kommen scheint: die Sache abzusagen und sich unter Vortäuschung von Krankheit ins Bett zu verkriechen. Und plötzlich - getrieben von Panik, das Schreckbild der Demütigung schon vor Augen - fügen sich die Teile irgendwie zusammen, alles passt, und die Rede liegt fertig vor einem. Ein zweitrangiger Redner geht jetzt dankbar schlafen. Ein Cicero bleibt auf und fängt an, die Rede auswendig zu lernen.
So in etwa muss man sich den Arbeitsprozess an jenem Abend vorstellen. Nachdem Cicero - zwischendurch stärkte er sich immer wieder mit einem Bissen Obst oder Käse und mit einem mit Wasser verdünnten Schluck Wein - die einzelnen Teile der Rede festgelegt hatte, schickte er mich zu Bett. Allerdings glaube ich, dass er selbst noch mindestens eine Stunde aufblieb, bevor er sich auch schlafen legte. Im Morgengrauen wusch er sich zum Wachwerden mit eiskaltem Wasser und kleidete sich dann sorgfaltig an. Kurz bevor wir uns auf den Weg zum Gericht machten, ging ich in sein Zimmer, und da war er so nervös wie ein Preisboxer vor dem Kampf. Er machte Lockerungsübungen, dehnte die Schultern und wippte auf den Fußballen hin und her.
Quintus hatte gute Arbeit geleistet. Als ich die Tür öffnete, begrüßte uns eine lärmende Menge von Sympathisanten, die so groß war, dass auf der Straße vor dem Haus keine Durchkommen mehr war. Außer ganz normalen Bürgern hatten sich auch drei oder vier Senatoren mit einem besonderen Interesse für Sizilien eingefunden, die so ihre Unterstützung für Ciceros Sache bekundeten. Ich erinnere mich an den wortkargen Gnaeus Marcellinus, den rechtschaffenen Calpurnius Piso Frugi - der im selben Jahr wie Verres Prätor gewesen war und diesen verabscheute - und an mindestens ein Mitglied aus dem Geschlecht der Marcelli, den traditionellen Patronen Siziliens. Cicero winkte der Menge von der Tür aus zu, hob die kleine Tullia hoch in die Luft, zeigte sie seinen Anhängern und gab ihr einen schmatzenden Abschiedskuss. Dann überreichte er sie ihrer Mutter, die er nun - was er in der Öffentlichkeit nur sehr selten tat - in seine Arme schloss, bevor er durch eine Gasse, die Quintus, Lucius und ich ihm bahnten, ins Zentrum seiner Anhängerschar vordrang.
Ich wollte ihm noch Glück wünschen, doch er war, wie so oft vor einer großen Rede, schon nicht mehr ansprechbar. Er schaute die Menschen an, aber er nahm sie nicht wahr. Er war vollkommen fixiert darauf, endlich zu agieren. In seinem Innern spulte er das seit seiner Kindheit immer wieder geprobte Drama vom einsamen Patrioten ab, der mit seiner einzigen Waffe, seiner Stimme, allem entgegentrat, was in diesem Staat verabscheuungswürdig und korrupt war. Als spürte sie, welche Rolle ihr in diesem surrealen Festzug zufiel, schwoll die Menge immer mehr an, und als wir schließlich den Tempel des Castor erreichten, begleitete Cicero das frenetische Klatschen von zwei- oder dreihundert Menschen. Glabrio saß bereits auf seinem Platz zwischen den großen Tempelsäulen, ebenso sämtliche Geschworenen, unter denen ich das Schreckgespenst Catulus höchstpersönlich entdeckte. Auf der Bank, die für die Zuschauer aus den besseren Kreisen reserviert war, sah ich Hortensius, der seine makellos manikürten
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