Imperium
Wir sollten uns wiedersehen.« Sie streckte Cicero zum Abschied die Hand hin. Er nahm sie, und es kam mir so vor, als drückte Servilia sie länger, als es die Höflichkeit erfordert hätte. »Würdest du von einer Frau einen Rat annehmen?«
»Von dir«, sagte Cicero, der seine Hand schließlich aus der ihren hatte lösen können, »von dir immer.«
»Mein anderer Bruder Caepio … mein leiblicher Bruder … der ist mit Hortensius ' Tochter verlobt. Er hat mir berichtet, dass Hortensius gestern von dir gesprochen und dabei den Verdacht geäußert hätte, dass du planst, Verres vor Gericht zu zerren. Und er hat mir erzählt, dass Hortensius irgendetwas gegen dich im Schilde führe. Das ist alles, was ich weiß.«
»Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich Verres vor Gericht zerren wollte«, fragte Cicero lächelnd, »was würdest du mir da raten?«
»Ganz einfach«, antwortete Servilia und schaute ihn vollkommen ausdruckslos an. »Lass die Finger davon.«
KAPITEL VI
Der Besuch bei Scipio und das Gespräch mit Servilia schreckten Cicero nicht ab, sie brachten ihn vielmehr zu der Überzeugung, dass er noch schneller als geplant vorgehen müsse. Am ersten Tag des Januars im sechshundert-vierundachtzigsten Jahr seit der Gründung Roms traten Pompeius und Crassus ihre Ämter als Konsuln an. Ich begleitete Cicero zu den Amtseinführungszeremonien auf dem Kapitol und mischte mich dann im Säulengang unter die Zuschauermenge. Zu jener Zeit stand der Wiederaufbau des Jupiter-Tempels unter Federführung von Catulus kurz vor der Vollendung. Der Marmor für die neuen Säulen stammte vom Berg Olymp, das Dach aus vergoldeter Bronze schimmerte im kalten Sonnenlicht. Traditionsgemäß wurde mit den Opferfeuern Safran verbrannt. Die knisternden gelben Flammen, der Gewürzduft, die leuchtend klare Winterluft, die goldenen Altäre, die mit scharrenden Hufen auf ihre Opferung wartenden cremefarbenen Stiere, die weißen und purpurnen Roben der zuschauenden Senatoren - all das machte einen unvergesslichen Eindruck auf mich. Ich habe ihn zwar nicht gesehen, aber Cicero erzählte mir später, dass Verres auch da gewesen sei. Er habe neben Hortensius gestanden, und die beiden hätten gelegentlich zu ihm hinübergeschaut und dabei gelacht.
Es folgten mehrere Tage, an denen Cicero nichts unternehmen konnte. Der Senat trat zusammen und hörte eine holperige Rede von Pompeius, der nie zuvor einen Fuß in die Kammer gesetzt hatte und nur mithilfe eines Leitfadens für Protokollfragen dem folgen konnte, was sich da vor seinen Augen abspielte. Den Leitfaden hatte der berühmte Gelehrte Varro zusammengestellt, der in Spanien unter Pompeius gedient hatte. Wie immer erhielt Catulus als Erster das Wort, was er zu einer bemerkenswert staatstragenden Rede nutzte. Er räumte ein (obwohl er selbst dagegen sei), dass man sich der Forderung nach Wiederherstellung der Rechte des Volkstribunats nicht widersetzen könne und dass die alleinige Schuld an ihrer Unbeliebtheit die Aristokraten selbst trügen. (»Als er das gesagt hat, da hattest du die Gesichter von Hortensius und Verres sehen sollen«, berichtete mir Cicero später.) Danach zogen nach uraltem Brauch die neuen Konsuln in die Albaner Berge, um den vier Tage dauernden Feierlichkeiten des Festes der Latiner vorzusitzen. Darauf folgten zwei Tage mit religiösen Feiern, während derer die Gerichte geschlossen waren. Cicero war also gezwungen, bis zur zweiten Januarwoche zu warten, bevor er seinen Angriff endlich starten konnte.
Am Morgen, als Cicero sein Vorhaben bekannt machen wollte, waren die drei Sizilier Sthenius, Heraclius und Epicrates zum ersten Mal seit einem halben Jahr nicht heimlich zu Ciceros Haus gekommen. Zusammen mit Quintus und Lucius eskortierten sie Cicero den Hügel hinunter aufs Forum. In ihrem Gefolge befanden sich auch einige Funktionäre aus Wahlbezirken, vor allem aus den Bezirken Cornelia und Esquilina, die Cicero besonders stark unterstützten. Einige Passanten riefen, wo er denn mit diesen drei merkwürdigen Gestalten hin wolle, und er antwortete ihnen bestens gelaunt, sie sollten doch mitkommen, dann würden sie es sehen, sicher würden sie nicht enttäuscht werden. Je größer die Menge war, desto besser, das war schon immer Ciceros Devise gewesen, und auf diese Weise stellte er sicher, dass er bei Erreichen des Gerichtshofes für Erpressungen ein stattliches Gefolge hinter sich wusste.
Damals tagte das Gericht vor dem Tempel des Castor, der sich vom
Weitere Kostenlose Bücher