Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
warb. Es war beeindruckend, wie viele Menschen Cicero persönlich kannte - nicht nur die Wähler selbst, er kannte auch die Namen ihrer Frauen und wie viele Kinder und welchen Beruf sie hatten: und das alles, ohne dass ich sie ihm einflüstern musste. Gegen elf Uhr, als sich die Sonne gerade dem Janiculum-Hügel zuzuneigen begann, wurde die Wahl unterbrochen, und Pompeius verkündete die Sieger. Bei der Wahl zum Konsul hatte Hortensius vor Quintus Metellus gewonnen, für das Prätorenamt hatte Marcus Metellus die meisten Stimmen erhalten. Während die Sieger von ihren jubelnden Anhängern umringt wurden, konnten wir beobachten, wie zum ersten Mal an diesem Morgen der Rotschopf des Gaius Verres in der vordersten Reihe auftauchte. »Der Puppenspieler macht seine Aufwartung«, bemerkte Cicero. Die Aristokraten schüttelten ihm die Hand und klopften ihm auf die Schultern, man hätte meinen können, er wäre gerade zum Konsul gewählt worden. Scribonius Curio, ein ehemaliger Senator, umarmte Verres und sagte so laut, dass jeder es hören konnte: »Mit dem Ergebnis der Wahl steht wohl fest, dass dein Freispruch nur noch Formsache ist.«
    Nur wenigen Kräften in der Politik kann man schwerer widerstehen als dem Gefühl, dass etwas unvermeidlich ist. Die Menschen sind nun mal Herdentiere, wie Schafe zieht es sie immer in die sichere Nähe des Stärksten, des Siegers. Wohin man auch hörte, alle waren einer Meinung: Cicero war erledigt, am Ende, die Aristokraten waren wieder obenauf, kein senatorischer Geschworener würde Gaius Verres je verurteilen. Aemilius Alba, der sich für einen geistreichen Kopf hielt, erzählte jedem, dem er über den Weg lief, dass er ganz verzweifelt sei: Der Kurs für Verres-Geschworene sei so tief gesunken, dass er für seine Stimme höchstens noch dreitausend Sesterzen rausholen könne. Die Aufmerksamkeit richtete sich nun auf die bevorstehenden Wahlen zum Ädilat, und es dauerte nicht lange, bis Cicero merkte, dass Verres hinter den Kulissen auch da mitmischte. Ranunculus, ein berufsmäßiger Wahlkampfleiter, der Cicero wohlgesinnt war und später von ihm angeheuert wurde, berichtete diesem, dass Verres alle wichtigen Stimmenkäufer zu einem nächtlichen Treffen in sein Haus eingeladen und für jeden, der seinen Wahlbezirk dazu bringe, Cicero nicht zu wählen, fünftausend Sesterzen ausgelobt hätte. Ich sah Cicero und seinem Bruder an, dass sie beunruhigt waren. Aber es kam noch schlimmer. Kurz darauf, am Vortag der Wahlen, trat der Senat unter Vorsitz von Crassus zusammen, um per Losentscheid zu bestimmen, welchen Gerichtshof jeder der designierten Prätoren nach seinem Amtsantritt im Januar übernehmen würde. Bei seiner Rückkehr aus der Kammer - ich hatte ihn nicht begleitet - sah Cicero blass und müde aus. Das Unglaubliche war geschehen: Marcus Metellus, den das Los schon zum Geschworenen im Verres-Prozess bestimmt: hatte, war auch noch der Vorsitz des Gerichtshofes für Erpressungen zugelost worden.
    Selbst in seinen schlimmsten Träumen hatte Cicero damit nicht gerechnet. Er war so schockiert, dass er fast kein Wort herausbrachte. »Du hättest den Aufschrei im Saal hören sollen«, sagte er flüsternd zu Quintus. »Crassus muss die Ziehung manipuliert haben. Jeder glaubt das, aber keiner weiß, wie. Dieser Kerl gibt keine Ruhe, bis er mich als gebrochenen und zahlungsunfähigen Mann ins Exil gejagt hat.« Er schleppte sich ins Arbeitszimmer und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Es war der dritte August, ein drückend heißer Tag. Man wusste kaum, wo man den Fuß hinsetzen sollte, überall auf dem staubigen Boden lagen Aktenstapel aus dem Verres-Fall herum: Steuerunterlagen, eidesstattliche Erklärungen, Zeugenaussagen. (Und das war nur ein Teil des Materials: Das meiste lagerte in verschlossenen Kisten im Keller.) Die Entwürfe für seine weitschweifige Eröffnungsrede, die immer wahnwitzigere Ausmaße annahm, bedeckte in wankenden Papyrusstapeln sein ganzes Schreibpult. Sie niederzuschreiben, hatte ich schon lange aufgegeben. Nur Cicero wusste, wie man sie noch zu einem logischen Ganzen zusammenfügen konnte, wenn überhaupt. Er saß da und massierte mit den Fingerspitzen seine Schläfen. Mit krächzender Stimme bat er mich um einen Schluck Wasser. Ich wollte das Zimmer gerade verlassen, als ich ein Stöhnen und dann einen dumpfen Schlag hörte. Ich drehte mich um und sah, wie er vornübergekippt auf seinem Stuhl saß, er hatte sich an der Pultkante den Kopf angeschlagen. Im

Weitere Kostenlose Bücher