Impfen Pro & Contra - Das Handbuch für die individuelle Impfentscheidung
»gereinigt«.
Da Pneumokokkenerkrankungen fast ausschließlich durch eine individuelle Abwehrschwäche bedingt sind, gibt es keine Ansteckungsgefahr und keine Epidemien. Eine antibiotische Prophylaxe bei gesunden Kontaktpersonen ist daher nicht angezeigt.
Bei Erwachsenen ist nahezu ein Drittel aller schwer verlaufenden Atemwegsinfekte durch Pneumokokken hervorgerufen oder kompliziert. Bei Kindern sind Pneumokokken die Ursache jeder dritten eitrigen Mittelohrentzündung und der Mehrzahl der bakteriellen Lungenentzündungen. Weltweit sterben jedes Jahr, begünstigt durch Aids und Unterernährung, etwa 800000 Kinder an Pneumokokkeninfektionen (O’Brien 2009).
Die schwerste Erkrankung, die durch Pneumokokken ausgelöst wird, ist die Hirnhautentzündung (Meningitis). Sie ist nach der Meningokokken-Meningitis die zweithäufigste bakterielle Hirnhautentzündung im Kindesalter und hat die schlechteste Prognose: Die Sterblichkeit beträgt 7 bis 8 Prozent (Theodoriou 2007).
In Deutschland gibt es jährlich über 400 schwere Pneumokokkenerkrankungen im Kindesalter, 40 Prozent davon sind Hirnhautentzündungen (Rückinger 2008). Zehn bis zwölf der betroffenen Kinder sterben, die Mehrzahl aufgrund eines vorbestehenden Immundefekts oder durch medikamentöse Fiebersenkung (Jefferies 2012). Bei durchschnittlich 35 Kindern pro Jahr kommt es zu Folgeschäden – in erster Linie zu Hörstörungen, aber auch zu Lähmungen, Anfallsleiden oder Entwicklungsverzögerungen (von Kries 2000).
Pneumokokkenerkrankungen können antibiotisch behandelt und dadurch geheilt werden. Die Erreger reagierten bis vor wenigen Jahren ausnahmslos sehr empfindlich auf einfaches Penicillin. Wegen der häufigen und unkritischen Verschreibung und Einnahme von Antibiotika auch bei harmlosen Virusinfekten gab es in den letzten Jahrzehnten gerade bei den Pneumokokken eine dramatische Resistenzentwicklung. Dies führte zu einer verstärkten Suche nach wirksamen Impfstoffen.
Resistente Pneumokokken kommen vor allem bei Kindern vor, die bereits mit Antibiotika behandelt wurden – bis zu 20 Prozent der bei ihnen gefundenen Keime sind auf verschiedene Antibiotika resistent (Nasrin 1999). Nach einer längeren Antibiotikapause nehmen die resistenten Pneumokokkenstämme wieder ab (Ekdahl 1999).
In den deutschsprachigen Ländern ist die Situation im Vergleich mit Ländern wie etwa Spanien oder USA noch günstig, so dass die Erfolgsrate einer Antibiotikatherapie immer noch sehr hoch ist. Niederländische Untersuchungen unterstützen im Übrigen ein abwartendes Behandlungskonzept bei Mittelohrentzündungen, gleich welcher Ursache: Über 80 Prozent der daran erkrankten Kinder werden auch ohne die Gabe von Antibiotika gesund (Del Mar 1999).
Pneumovax 23, der Impfstoff für Erwachsene
Derzeit sind in Deutschland drei Pneumokokkenimpfstoffe auf dem Markt: Synflorix, Prevenar 13 und Pneumovax 23.
Pneumovax 23 ist ab dem Alter von zwei Jahren zugelassen, Zielgruppe sind aber vor allem die Erwachsenen. Der Impfstoff enthält Antigene der 23 häufigsten Pneumokokkentypen.
Die Impfung mit Pneumovax 23 war zunächst nur für Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko empfohlen, etwa nach Entfernung der Milz, bei angeborener oder erworbener Immunschwäche, bei Diabetes und chronischen Herz- oder Lungenerkrankungen. 1998 wurde die Impfempfehlung auf alle über sechzigjährigen Personen ausgedehnt.
Die Impfwirkung ist jedoch unzuverlässig und kurz. Schweizer Sozialmediziner errechneten eine Risikominderung von nicht einmal 10 Prozent (Huss 2009). In Doppelblindstudien fand sich bei geimpften über Fünfzigjährigen keine Verringerung von Krankenhausaufnahmen, Lungenentzündungen oder Todesfällen (Örtkvist 1998, Honkanen 1999, Jackson 2003, Skull 2007). Auch bei den genannten Risikogruppen fehlt ein Nachweis der Wirksamkeit. Bei HIV -Patienten vergrößert die Impfung sogar die Gefahr von Lungenentzündungen, vermutlich aufgrund einer Schädigung von Abwehrzellen (French 2000). Die Empfehlung der Pneumokokkenimpfung älterer Menschen ist somit fragwürdig (
AT
2003a, 2003b, 2011). Die britische Impfkommission plädierte im März 2011 für die Beendigung des Pneumokokken-Impfprogramms für ältere Menschen ( JCVI 2011).
Bei bis zu 50 Prozent der Geimpften führt Pneumovax 23 zu Beschwerden an der Impfstelle. Wenige Stunden bis Tage nach der Impfung kann es zu Fieber, Muskelbeschwerden und Kopf- oder Gelenkschmerzen kommen (Quast 1997). Starke Impfreaktionen mit hohem
Weitere Kostenlose Bücher