In alle Ewigkeit
noch gar nicht nach Hause gegangen und beobachteten das Geschehen vom Rand des Parks. Winter ging zu dem Steinblock unter den Bäumen. Er sah die Beine des Mädchens wie zwei weiße Stöcke, dann den Rest des Körpers, alles, außer dem Kopf, der immer noch im Schatten lag.
Er hätte dort Halt machen, in sein tristes Dienstzimmer im Polizeipräsidium zurückkehren und später die Akten öffnen und lesen können, was hier passiert war. Er wusste, wie es geschehen war. Später, als die Obduktion vorbei war und er alle Fakten hatte, die er zu dem Zeitpunkt bekommen konnte, zeigte es sich, dass es genau so gewesen war.
Aber noch war es Morgen. Er sah den Arzt, einen neuen, dessen Namen er nicht kannte. Er wirkte jung. Kam näher und begrüßte ihn. Sagte ein paar Sachen, die Winter wie automatisch registrierte.
Sie hatte aufgehört zu atmen, weil ihr jemand den Hals zugeschnürt hatte. Jemand hatte noch andere Dinge mit ihrem Körper gemacht, noch unklar, was.
Er sah ihre Handtasche ein Stück entfernt von ihrer Hand auf der Erde liegen.
Streck doch die Hand aus und nimm die Tasche, dachte er. You can do it. Du kannst es immer noch.
Sie war achtzehn oder neunzehn. Er hätte sich überzeugen können, aber er wollte jetzt nichts berühren. Sie war achtzehn. Das würde sich herausstellen. Ich höre hier auf. Nicht älter als achtzehn, höchstens neunzehn. Noch nicht erwachsen, keine Familie, kein Kind gestillt, kein Kinderwagen, keine Koliken , keine Scheidung.
Halders stand neben ihm. Er sagte etwas mit leiser Stimme zu einem der Spurensucher. Ein Nachtvogel gab einen Laut von sich, der Winter an etwas erinnerte. An eine andere Situation.
Taschenlampen beleuchteten den Spalt in dem Steinblock. Er sah das Gesicht auf dem Boden. Es schien immer noch merkwürdig im Schatten zu liegen.
In seinem Kopf hörte er eine Melodie. Will dich heute Abend im Dunkeln haben. Das Straßenlokal gestern Abend. Ist sie vorbeigegangen? Ist sie dort mit ihren Freunden vorbeigekommen? Ich fliege, ich schweeebe. Lass es niemals enden bis in alle Ewigkeit. Wenn ich dich jetzt nicht nehme, dann nimmt dich ein anderer. Mir weg.
4
Das Mädchen hieß Angelika. Ihr Ausweis war in der Handtasche.
Sie hatte dunkle Haare, und ihre Kleider waren verrutscht. In ihrem Haar waren Laub und Gras gewesen. Mit dem Kopf hatte sie wie auf einem Kissen aus Gras gelegen.
Als ob ihr jemand ein Kissen geformt hätte. Das Bild trug er mit sich hinein zur Obduktion. Pia Fröberg, die Gerichtsmedizinerin, untersuchte Angelikas Körper. Ihm war so viel vertraut. Der Körper, die Beleuchtung. Der weiße Arztkittel, auch er beleuchtet von der grellen Deckenlampe. Die nackten Körperteile. Leblos.
Wie viele Male hatte er so dagestanden? Nicht viele, aber trotzdem allzu viele Male. Einmal war schon zu viel.
Er wusste, dass sie erwürgt worden war. Ein Band um ihren Hals, das man nicht wegnehmen, abschneiden konnte. Pia bestätigte es: könnte eine Leine gewesen sein, eine Hundeleine, Würgeleine. Könnte ein Seil gewesen sein. Keine Schnürsenkel von Stiefeln.
Erst vor wenigen Stunden waren sie alarmiert worden. Was hatte er in dem Moment getan? Plötzlich dachte er so: Was genau hatte er in dem Moment getan?
Sie hatte getrunken, vielleicht zu viel. Vielleicht hatte sie jemanden bei der Hand gehalten.
Sie war neunzehn Jahre alt. Er dachte daran, was Halders über Jeanette Bielke erzählt hatte, ihre Zeugenaussage. Sie war auch neunzehn, frisch gebackene Abiturientin seit einem Monat. In ihrem Zimmer gab es die Studentenmütze. Hatte Angelika eine Studentenmütze? Hatte sie Jeanette gekannt? Hatten sie gemeinsame Freunde?
»Sie war schwanger«, sagte Pia Fröberg, die auf ihn zukam. Winter nickte, ohne zu antworten. »Hast du gehört, was ich gesagt habe?« Er nickte wieder.
»Du wirst von Mal zu Mal schweigsamer.«
Mit jedem Fall, dachte er, schweigsamer mit jedem Fall.
»In welchem Monat?«
»Das kann ich nicht genau sagen«, antwortete sie. »Aber noch nicht lange.« Sie sah zum Körper des Mädchens. »Ich frage mich, ob sie es selbst überhaupt schon wusste.«
»Bist du dir sicher mit der Schwangerschaft?« »Absolut.«
Winter trat zwei Schritte näher an den Körper heran. Sie wussten noch nicht mehr über sie als das, was sie in der Handtasche gefunden hatten, und die Unterlagen waren bei Kommissar Beier, dem Dezernatschef.
Bald würde er zu ihrer Wohnung fahren. Er hatte die Adresse. Ihre Eltern saßen da draußen in einem anderen Zimmer, das
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