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In alle Ewigkeit

In alle Ewigkeit

Titel: In alle Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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bekommt eine andere Bedeutung als das, was man auf der Oberfläche sieht, dachte er. Wenn ich dieses Bild anschaue, ist es, als ob ich mich diesem Steg mit einer Todesbotschaft aus der Zukunft näherte.
    Anders als Herr Bielke trug Angelikas Vater kein Geheimnis mit sich herum. Winter hörte, wie er sich irgendwo im Haus räusperte. Der Vater - Adoptivvater oder leiblicher Vater, das spielte hier ja keine Rolle - hatte keinerlei Ahnung gehabt von der Schwangerschaft seiner Tochter und von eventuellen Freunden.
    Und Angelika? Hatte sie überhaupt ein Geheimnis? Wem war sie in jener Nacht begegnet? Genau wie Beatrice hatte sie sich von ihren Freunden getrennt und war danach allein gewesen. Oder hatte sie den Mann getroffen, der sie etwa acht Wochen vorher geschwängert hatte?
    Was hatte sie sonst getan? Sie hatte ihre zwölfjährige Schulzeit schon abgeschlossen und war auf dem Weg hinaus ins Leben.
    War sie einfach einem Mörder und Vergewaltiger begegnet, der in der Sommernacht auf seine Opfer wartete? Durch reinen Zufall? Pech, wenn man es salopp ausdrückte. Oder verbarg sich dahinter mehr? War es ein geplantes Verbrechen?
    Der Ort konnte mit Umsicht ausgewählt sein - in beiden Fällen. Von dem Verrückten. Oder vom Mörder, der auf eine bestimmte Person wartete, nur auf sie.
    Dann ging es hier nicht um Beatrice Wagner oder Jeanette Bielke. Oder doch?
    Vielleicht hatten die drei Mädchen dennoch etwas gemeinsam, das zwei von ihnen den Tod gebracht hatte, vielleicht ging es nicht nur darum, sich am falschen Ort zu befinden.
    Hatten sie etwas getan, das... sie vereinte? Könnte es so sein?
    Himmel, ich muss mich auf diesen einen Mord konzentrieren. Man kann nicht in allem einen gemeinsamen Nenner finden.
    Winter saß mit dem Kopf in den Händen da und dachte nach, nahm die Hände weg, erhob sich und öffnete eine der Schubladen des Schreibtisches. Er hätte gern geraucht, unterdrückte den Wunsch jedoch. Der war stärker geworden, seit er Vater geworden war. Er hatte geglaubt, die Sucht würde abnehmen oder aufhören. Aber sie hatte zugenommen. Angelas diskrete Hinweise hatten sich langsam in etwas anderes verwandelt. Kein Genörgel. Niemals. Aber vielleicht... Irritation. Das war nicht nur die Ärztin in ihr. Es war gesunde Vernunft. Gesund.
    Er verließ das Zimmer, ging in den Garten und zündete sich einen Corps an.
    Als er zurückkehrte, durchsuchte er das Zimmer systematisch. Wieder betrachtete er lange das Foto, ihr Kopf vor dem Meer. Er zog die Schreibtischschublade heraus und nahm die acht Umschläge mit Fotos hervor, die er vorhin durchgeschaut hatte. Er fing wieder von vorn an, sortierte sie in kleinere Häufchen, ordnete sie um. Angelika in verschiedenen Umgebungen, meistens draußen. Lächelnd, ernst. Er legte die Außenaufnahmen auf einen eigenen Stapel, die Innenaufnahmen auf einen anderen, dann trennte er Sommer- und Winterbilder. Die kräftigen Farben des Herbstlaubs. Angelika in einem Schneehaufen, schwarz, schwarz, weiß, weiß. Angelika an einem Frühlingshang voller Buschwindröschen, die genauso leuchteten wie ihre Zähne. Angelika mit ihren Eltern, am selben Hang: die Eltern kränklich blass nach dem Winter.
    Die Bilder waren nicht datiert, schienen aber alle im letzten Jahr aufgenommen worden zu sein, wie er anhand der Daten, die auf den Umschlägen standen, feststellte. Es waren fast 300 Bilder. Sie waren wie ein geöffnetes Tagebuch über ihr letztes Jahr. Sommer, Herbst, Winter, Frühling, wieder Sommer. Der letzte Sommer, oder der letzte halbe Sommer, dachte er und schaute sich die Serie der Fotos von ihrem Examenstag an. Schulhof, Blumen, Ballons, all das, was dazugehört, die einjährige Angelika achtzehnmal vergrößert auf einem Plakat, das über allem geschwenkt wurde.
    Viele Menschen standen in einem breiten Halbkreis um sie herum, viele Gesichter. Winter erkannte die Eltern, aber niemanden sonst. Angelika trug eine weiße Mütze und lachte in die Kamera.
    Das war sechs Wochen her.
    Winter fuhr fort, die Fotos auf verschiedene Häufchen zu legen. Warum mache ich das? Ist das eine Selbsttherapie angesichts der verdammten, schweren Ermittlung? Wie eine Patience. Geduld. Alles dreht sich um Geduld.
    Draußen sangen Vögel. Der Regen schlug wieder gegen die Scheiben, nachdem er ein Weilchen aufgehört hatte. Winter saß mit einem Bild von Angelika da, das sie in einem Zimmer vor einer Ziegelwand zeigte. Die Ziegel waren.. eine Attrappe. Sie sah in die Kamera, lächelte jedoch nicht.

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