In alle Ewigkeit
hatte er Aneta Djanali vor einer Stunde erklärt. »Sie hat Erinnerungen an diesen Song, ich auch.« Danach hatte er gesagt: »Es ist eine gemeinsame Erinnerung.« Er hatte sie angeschaut. »Findest du das unpassend? Die Musikwahl?«
»Nein. Heutzutage wählen die Leute doch häufig ihre eigene Musik für die Beerdigung.«
»Ich bin schon seit vielen Jahren auf keiner Beerdigung mehr gewesen.«
»Led Zeppelin ist in Ordnung«, sagte sie. »Es ist schließlich eine Ballade.«
Halders stand mit den Kindern zusammen, als Erde auf den Sarg geworfen wurde. Es regnete leicht, sollte aber im Lauf des Tages aufhören.
Hinterher sprach er mit den Trauergästen, nahm aber nicht wahr, was die einzelnen sagten. Die Kinder standen dicht neben ihm.
»Ist Mama jetzt im Himmel?«, fragte Magda.
»Ja«, antwortete er.
Magda schaute hinauf, die Wolken stürmten zu allen Seiten davon. In der Mitte war es blau.
»Guck mal, ein Loch!«, rief sie und zeigte hinauf. »Mama kann durch das Loch fahren!«
Er versuchte den Himmel zu sehen, aber durch die Tränen sah er nur Nebel.
»Siehst du das Loch im Himmel, Hannes?« Magda wandte sich an ihren Bruder.
»Es gibt kein Loch«, sagte er. »Es ist nur der Weltraum.« Er schaute auf die nasse Erde.
»Da ist wohl ein Loch«, sagte sie, senkte den Arm und hielt Halders' Hand ganz fest. »Das gibt es wohl.«
Sie fuhren zu den Klippen im Süden. Jetzt nach den verregneten Tagen war es doppelt warm. Angela saß am Steuer, Elsa in ihrem Kinderstuhl auf dem Vordersitz. Winter saß hinten und sah die Felder unter der Sonne glänzen. Er drehte die Autoscheibe herunter und bat Angela, die Klimaanlage abzuschalten, damit er die feuchtwarme Wiesenluft in sich aufsaugen konnte.
Sie parkten, und er trug Elsa auf den Schultern, während sie über die Pferdekoppel gingen. Sie blieben stehen und betrachteten das Fohlen, das im Gras lag und ausruhte. Die Mutter daneben, den Kopf zum Fohlen gesenkt.
Ihr Lieblingsplatz war frei. Winter zog sich rasch um und ging mit Elsa ans Wasser hinunter und tauchte sie vorsichtig ein. Dann übernahm Angela Elsa, und er schwamm hinaus. Es war still. Er lag auf dem Rücken und sah Angela und Elsa auf der Decke auf dem Felsen.
Die Schwere, die er bisher empfunden hatte, löste sich und versank unter der Wasseroberfläche. Nichts blieb davon übrig , als er sich im Wasser drehte und weiter hinausschwamm. Er legte sich wieder auf den Rücken und schaute zu seiner Familie, die immer kleiner wurde.
Halders hatte ausgesehen, als würde er versinken, als die Beerdigung vorbei war. Winter wusste nicht, wann er wiederkommen würde. Morgen oder nie mehr. Beides war möglich.
Während der Beerdigung hatte er sich selbst wie ein Stein gefühlt.
Er bewegte die Arme dicht unter der Wasseroberfläche.
Sein Körper war schwer gewesen, als er sich von der Bank in der Kapelle erheben wollte. Eigene Erlebnisse, die noch gar nicht weit zurücklagen, waren zurückgekehrt, als Angela so nah... als Elsa... Als er vor jener Tür gestanden hatte, wie festgewachsen am Boden, schwer wie ein Stein. Da hatte er gefühlt, wie sein eigenes Leben versank, abstürzte ins Bodenlose.
Er schloss die Augen und spürte die Sonne im Gesicht. Ein Boot fuhr etwa hundert Meter von ihm entfernt vorbei, hinaus in die Bucht, aber er hielt die Augen geschlossen. Möwen schrien. Von irgendwoher tönte eine Stimme übers Wasser. Es roch nach Benzin, der schwache Wind hatte ihm den Geruch vom Boot zugetrieben. In diesem Augenblick war er ganz und gar hier bei sich. Wenn er das doch festhalten könnte.
»Du warst fast wie eine Jolle da draußen«, sagte Angela, als er aus dem Wasser kam, nasser als er je gewesen war. »Ordentlich vertäut.«
»Ich hab selbst nicht gewusst, dass ich mich so gut treiben lassen kann.«
»Ich kenne den Grund«, sagte sie und piekte in seinen Bauch, der sich kaum erkennbar wölbte. Er sah keine Rundung, wenn er an sich herunterguckte. Elsa piekte ihn auch, mehrere Male. Es tat fast weh.
»Mir fehlen zum Waschbrettbauch nur ein paar Runden, eine Meile ungefähr«, sagte er. »Vielleicht sollte ich nach Hause joggen.« Die Schuhe lagen im Kofferraum. Bis zur Stadt waren es satte zehn Kilometer. Vielleicht zu satt? Nein.
»Traust du dich denn, das zu essen?« Sie nickte zu dem Baguette mit Hähnchensalat, das er in der Hand hielt.
»Ja«, sagte er, und plötzlich begann Angela zu weinen. Sie wischte sich über die Augen. Winter legte das Baguette beiseite, beugte sich über
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