In alle Ewigkeit
Blatt in die Hand. »Ich weiß nicht, ob das der Geist dieser Gesellschaft ist, aber alle Leute scheinen ihre Kinder zur Zeit auf eine Privatschule schicken zu wollen. «
»Das ist ja furchtbar«, sagte Winter.
»Was? Der Geist der Gesellschaft? Das allgemeine Klima?«
»Der Privatgeist«, antwortete Winter. »Du sagst es.« Hjalte legte das Blatt wieder hin und sah Winter an. »Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich dir helfen soll, Erik. Jeanette ist ein nettes, pflichtbewusstes Mädchen, dem etwas Entsetzliches passiert ist. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Ist es nicht trotzdem etwas merkwürdig, dass du nicht gewusst hast, was passiert ist?«, fragte Winter. »Also bevor ich angerufen habe? So was verbreitet sich doch schnell, nicht zuletzt an einer Schule. Und noch schneller an einer kleinen Schule wie dieser.«
»Doch, ein bisschen merkwürdig ist das schon. Aber es sind schließlich Sommerferien.«
»Trotzdem... nicht mal das allerkleinste Gerücht«, sagte Winter. »Sommerferien hin oder her, die Schulleitung muss doch irgendwie was gehört haben.«
»Von wem?«
»Weiß ich auch nicht genau.«
»Vermutlich hat sie loyale Freunde, die dichthalten.«
»Vielleicht. Außerdem scheint sie nicht viele Freunde unter den Schülern dieser Schule zu haben.«
»Ach?«
»Ihre Freunde, jedenfalls die, die wir gefunden haben, gehen nicht auf die Rudebeck-Schule. Einige gehen überhaupt nicht aufs Gymnasium. Oder gingen.«
»Da hast du die Erklärung.« Hjalte sah Winter mit Augen an, die nicht älter geworden waren. »Hinter dieser Geschichte steckt noch etwas anderes, oder?«
»Wie meinst du das... Gustav?«
Es war ein ungewohntes Gefühl für Winter, den Lehrer beim Vornamen zu nennen. Als er hier zur Schule ging, war Hjalte eine unangreifbare Autoritätsperson für ihn gewesen.
»Ich hab doch von dem Mord an dem Mädchen gehört und gelesen... das in diesem Jahr das Abi am Schillergymnasium gemacht hat«, sagte Hjalte. »Hängt das mit dieser Geschichte zusammen, Erik?«
Hannes wartete im Zimmer der Klassenlehrerin. Halders nahm ihn in die Arme. Die Lehrerin stand daneben. Erst als er hereingekommen war, hatte sie die Hand von Hannes' Schulter genommen.
»Magda will bis zum Ende bleiben«, sagte der Junge. »Ich hab sie gefragt.« Halders nahm seinen Sohn fester in den Arm. »Können wir jetzt fahren, Papa?«
Sie fuhren im Regen, Am Nachmittag hatte es angefangen zu regnen.
»Du bist doch nicht böse, Papa?« »Warum sollte ich böse sein?«
»Weil du von deiner Arbeit wegmusstest, um mich abzuholen, bevor die Schule aus ist.«
»Wenn du nicht dort sein willst, brauchst du das auch nicht«, sagte Halders und legte seinem Sohn die rechte Hand um die Schulter. »Und ich brauch nicht auf der Arbeit zu sein.«
Der Junge schien sich damit zufrieden zu geben und versank für den Rest des Weges in Schweigen. Halders parkte, und sie gingen ins Haus. Er hatte einen Teil seiner Sachen aus der Wohnung hierher gebracht. Er wusste nicht mehr, wo er zu Hause war, nur so viel, dass er dorthin gehörte, wo seine Kinder waren.
»Ich bin müde«, sagte Hannes.
»Leg dich ein Weilchen hin. Ich sitz hier im Wohnzimmer.«
»Ist man müder als sonst, wenn man traurig ist, Papa?«
»Ja.« Bis zu diesem Augenblick hatte er das nicht gewusst, aber jetzt spürte er es selbst. Jetzt kam es. Er spürte es tief drinnen. »Wir le gen uns eine Weile hin, bevor wir Magda abholen.«
»Ich weiß nicht über jede Sekunde der Nacht Bescheid«, sagte Kurt Bielke. »So eine Kontrolle hab ich nie über sie gehabt.«
Irgendwas stimmt mit ihrem Vater nicht, hatte Halders gesagt. Jeanettes Vater. Oder zwischen ihnen. Irgendwas ist da komisch. »Könntest du dich ein bisschen konkreter ausdrücken?«, hatte Winter gefragt. »Es gibt mehrere Punkte, in denen ihre Aussagen nicht übereinstimmen«, hatte Halders geantwortet. »Die Nacht, als sie nach Hause gekommen ist. Als es passiert ist.«
»Aber sind Sie sicher, dass sie vor drei zu Hause war?«, hakte Winter jetzt nach. »Ganz sicher. Das hab ich doch schon mehrmals gesagt.« »Nicht zwei Stunden später?« »Nein. Wer sagt das?«
»Es gibt einen Zeugen, der hat Jeanette erst zwei Stunden später nach Hause kommen sehen.«
»Dann hat der Betreffende sich eben getäuscht.« Sie saßen in einem Wohnzimmer, das sehr hell war trotz des dichten Regenvorhangs draußen.
»Sie haben meine Frau doch auch gefragt. Jeanette war gegen drei zu Hause, und ich kann verdammt noch mal
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