In aller Unschuld Thriller
bereitete ihr ein schlechtes Gewissen. Sie empfand keinen Hass für ihn. Er war kein übler Kerl. Er war ein wunderbarer Vater, wenn er sich zu Hause blicken ließ, was seit dem letzten Jahr immer seltener vorkam. Nur war offenbar alles, was sie im Guten miteinander geteilt hatten, verschwunden, und es waren nur mehr eine aufgesetzte Höflichkeit und Spannungen zwischen ihnen geblieben.
Carey war schon seit einer ganzen Weile klar, dass ihre Ehe kaputt war. David auch. Er war darüber genauso traurig wie sie, aber sie taten beide lieber so, als wäre nichts. Sie schlichen um das Thema Scheidung herum wie die Katze um den heißen Brei. Wenn sie es erst einmal angesprochen hatten, würden sie die Konsequenzen ziehen und sich vor allem darüber klar werden müssen, welche Konsequenzen das für ihr Kind hatte.
Stattdessen stürzten sie sich beide in die Arbeit. Carey war bis über beide Ohren beschäftigt mit dem bevorstehenden Prozess gegen Dahl. Das Hauptbetätigungsfeld von David, der ein viel versprechender Dokumentarfilmer gewesen war, als sie sich kennen lernten, bestand mittlerweile eigentlich nur noch darin, Geld für sein jeweils neuestes Projekt aufzutreiben. Er verbrachte einen großen Teil seiner Zeit damit, irgendwelchen potenziellen Geldgebern um den Bart zu gehen. Leider schien er nie wirklich Erfolg damit zu haben, so dass er sich notgedrungen dazu herablassen musste, gelegentlich einen Werbefilm für einen Lokalsender zu drehen.
Carey wusste, dass er ihr ihren Erfolg neidete. Er reagierte gereizt und kurz angebunden, wenn man ihn auf seine Arbeit ansprach. Sie hatte ihn immer unterstützt und Geduld gezeigt, da sie wusste, dass sein Selbstbewusstsein angegriffen war. Aber David gefiel sich in der Rolle des Opfers allzu gut, genoss es, sie dazu zu bringen, ihn mit Samthandschuhen anzufassen. Nur hatte sie mittlerweile keine Lust mehr darauf und war zunehmend genervt von der Situation.
Wie oft hatte sie sich schon auf die Zunge gebissen, um ihm nicht zu sagen, er solle sich endlich zusammenreißen, sich endlich wie ein Mann verhalten … und wie viele Male hatte er schon versagt.
Die Tränen, die ihr in die Augen stiegen, verstärkten noch den Druck in ihrem Kopf. Carey drängte sie zurück. Wenn sie anfing zu weinen, würde sie sich schnäuzen müssen, und dann würde sie bestimmt vor Schmerz ohnmächtig werden.
Was vielleicht nicht das Schlechteste wäre.
Der Wecker, der auf ihrem Nachttischchen stand, zeigte an, dass es dreizehn Minuten nach eins war. David war noch immer nicht nach Hause gekommen.
Potenzielle Geldgeber, da lachen ja die Hühner , dachte sie. Sie vermutete, dass er eine Geliebte hatte, und war geradezu erleichtert. Er hatte sie seit Monaten nicht mehr berührt. Und sie war froh darüber. Einmal hatte er es doch getan, und sie hatte ungeduldig und genervt darauf reagiert. Gleichzeitig machte sie der Gedanke, dass er sie betrügen könnte, stinksauer, weil sie sich nur allzu gut vorstellen konnte, dass er es tat, um ihr eins auszuwischen.
Sie hob ihre Hand ans Gesicht, um sich über Stirn und Wangen zu reiben, und stöhnte auf, als ihre Finger leicht über eine Abschürfung strichen. Im nächsten Moment zuckte sie vor Schmerz zusammen, weil ihre Rippen dagegen protestierten, dass sie so unvermittelt und tief Atem holte.
Anka klopfte leise an die Tür und trat ein.
»Der Detective hat gesagt, ich soll regelmäßig nach Ihnen sehen«, flüsterte sie.
»Es geht mir gut, Anka, danke.«
»Wirklich? Sie sehen ziemlich schlimm aus.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Carey. »Hat sich mein Mann inzwischen gemeldet?«
»Nein, aber vor einiger Zeit hat Ihr Handy geklingelt, ich bin allerdings nicht drangegangen.«
»Würden Sie es mir bitte bringen?«
Das Kindermädchen runzelte die Stirn. »Sie sollten eigentlich schlafen.«
»Sie sind doch gerade gekommen, um mich aufzuwecken«, erwiderte Carey. »Ich möchte nur sehen, ob Nachrichten auf der Mailbox sind.«
Anka schüttelte den Kopf und murmelte etwas auf Schwedisch vor sich hin, das sich nicht gerade freundlich anhörte, holte ihr aber dennoch das Telefon.
»Danke«, sagte Carey. »Gehen Sie ins Bett. Schlafen Sie. Ich verspreche, dass ich nicht ins Koma fallen werde.«
Anka, die den Humor ihrer Arbeitgeberin offensichtlich nicht teilte, verließ mit einem Schnauben den Raum.
Carey drückte die Taste für die Mailbox, gab ihr Passwort ein und schloss die Augen, während sie die Nachrichten abhörte.
Ein Anruf von
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