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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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geschrieben habe. Ist es auch.
    »Hi«, sagt sie leise, als ich ihr in die Augen schaue.
    Mein Mund steht offen. Ich klappe ihn zu. Sie ist eine Besucherin aus einem anderen Leben. Ich presse meine Handflächen auf die kühle Tischplatte, orientiere mich.
    »Hi«, erwidere ich.
    Sie fängt an zu weinen.
    Ich schau auf die Briefe.
    »Ich hab weitergeschrieben«, sagt sie. »Jeden Mittwoch einen. Es sind noch ein paar darüber hinaus, weil ich mehr geschrieben habe, als du ins Krankenhaus kamst und alles so durcheinander war – als du nicht sprechen wolltest.« Sie wischt sich das Gesicht mit dem Schal ab.
    Ja. Verrückt. Als sie mich angebrüllt hat, mich fertiggemacht hat, als ich schon am Boden lag.
    Ich berühre das Band des einen Stapels. Scheint aus den Beständen zu sein, die sie behalten hat, nachdem wir den Trödelladen ihrer Großmutter aufgelöst haben. Ein Saphirfaden, der kreuz und quer um jedes der Bündel gewickelt ist, als hätte sie die Briefe mit einem Streifen Himmel zusammengebunden.
    Ich bin sprachlos.
    »Du bist hier«, sage ich schließlich. Meine Stimme bricht. Mehr hab ich nicht anzubieten.
    Sie nickt unter Tränen.
    Ich stehe auf. Gehe zu ihr. Wir umarmen uns.
    »Ich hab deine Mom gezwungen, mir zu sagen, wie man hierherkommt«, sagt sie, den Mund an meine Schulter gedrückt. »Ich weiß, dass du immer noch allein sein willst und so …«
    Ich nicke.
    »Aber das dauert jetzt zu lange. Ich musste kommen und dich besuchen. Meinetwegen.«
    »Es tut mir leid«, sage ich.
    Tut es. Mir tut alles leid. Dass ich verschwunden bin.
    »Du redest«, sagt sie, als wir uns schließlich loslassen.
    Wieder nicke ich.
    »Kannst du weg … hier?«, fragt sie und meint die Bibliothek.
    Ich schau rüber zu Lucy, die in der Ecke sitzt, Kaffee trinkt und so tut, als würde sie nicht auf jedes Wort lauschen, das wir sagen.
    »Geh«, sagt sie, ohne aufzuschauen, mit einer Handbewegung Richtung Tür. Ich gebe ihr zehn Sekunden, bevor sie Zara anruft und ihr erzählt, dass Meredith in der Stadt ist.
    Die Briefbündel stecke ich in meine Tasche, dann schnappe ich mir meinen Mantel und wir sind draußen.
    Meredith hat ein Auto von ihren Eltern dabei. Es wirkt komisch, fehl am Platz in dieser kleinen Stadt, geparkt wie auf dem Land üblich, steht es schräg in der Parklücke. Sauber. Ohne die Kruste von salzigem Schnee eines ganzen Winters an den Reifen, die alle anderen hier vorzuweisen haben. Wahrscheinlich hat sie es von Hand waschen lassen für diese Fahrt. Sie klickt die Tür auf und wir steigen ein.
    »Wo fahr ich hin?«, fragt sie.
    Gute Frage. In dieser winzigen Stadt gibt es ziemlich wenig ungestörte Orte.
    Ich lotse sie zum Chat ’n’ Chew . Es ist typisch Kleinstadt, ganz wie im Fernsehen. Jede Menge Birkenholz und karierte Stoffe, Plastikhummer, bestickte Geschirrtücher zu verkaufen. Was manche so mit Gemütlichkeit verbinden. Ein Backwarenkorb mit schweren Honigkuchenstücken, Zimtplätzchen und Whoopie Pies. Und wie die meisten Lokale zu dieser Jahreszeit ist es nahezu leer. Wir holen uns etwas Heißes zu trinken und suchen uns einen Tisch aus.
    Ich kann nicht aufhören zu zittern. Ich bin aufgedreht und traurig. Es ist surreal. Was soll ich sagen? Mir fällt nichts ein. Mein altes Leben und das neue werden aneinandergepresst – ganz fest. Ich rutsche auf meinem knarrenden Stuhl herum, kann mich nicht entspannen.
    »Ich bin froh, dass du hier bist«, höre ich mich sagen. Aber ich bin mir gar nicht sicher, ob das stimmt.
    »Ich auch.« Sie schaut in ihre Tasse. »Du fehlst mir.«
    Ihre Stimme ist leise. Klein. Wir haben uns nie befangen gefühlt miteinander. So wirkt sie wie eine reduzierte Ausgabe ihrer selbst.
    »Ich bin zu dir nach Haus gefahren. Am ersten Tag der Weihnachtsferien. Hab deine Mom überrascht. Sie hat mich zum Mittag bleiben lassen.«
    Meine Mutter liebt Meredith. Ihr gelassenes Auftreten. Das sind ihre Worte: Merediths gelassenes Auftreten . Sie hat ja keine Ahnung. Meredith kann gelassen auftreten, ganz besonders in Gegenwart von Eltern, aber sie war auch die durchtriebene Drahtzieherin, die hinter allem stand, was wir nicht tun sollten, aber trotzdem taten.
    Ich trinke meine Latte. Die Milch ist kochend heiß. Für ein, zwei Tage wird meine Zunge nicht zu gebrauchen sein.
    »Sie hat mir gesagt, es ginge dir ganz gut … besser«, sagt sie, »dass du meine Briefe immer noch nicht haben wolltest?« Das ist eine Frage. Sie sieht aus, als würde sie wieder anfangen zu weinen.
    »Tut

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