In allertiefster Wälder Nacht
Freundin gewesen. Ich hole enorm tief Luft. »Ich bin hier hochgekommen, weil ich es nirgendwo sonst aushalten konnte.«
Schweigen. Ich glaube, ich klinge defensiv. Sie macht ihren Pferdeschwanz auf und bindet ihn neu. Wäre eigentlich nicht nötig gewesen.
Ich kratze an etwas Festgeklebtem auf der Tischplatte. »Ich kann einfach nicht begreifen, wie Menschen all die furchtbaren Sachen, die passieren, ignorieren können und das Leben einfach weiterlaufen lassen.«
»Nun, sie tun es einfach«, sagt sie energisch und wickelt sich den Schal neu um den Hals. Sie ist so daran gewöhnt, das letzte Wort zu haben. Sie denkt, das geht immer noch und es bedeutet was, so sicher zu sein.
»Wow.« Sie atmet aus und schaut mich an, als ob sie mich wirklich sehen würde, so, wie ich jetzt bin, zum ersten Mal. »Wren. Wie konntest du nur so kaputtgehen?«
Patrick ist neben mir gestorben.
Ich war schwanger.
Ich mach die Augen zu, presse die Lippen aufeinander.
»So hab ich das nicht gemeint … Wren …«, sagt sie.
Ich mach die Augen auf und guck sie wieder an.
»Ich weiß nicht, wann es mir wieder besser geht. Ich versuche, hier oben einfach nur zu leben. Versuche, aufzuwachen und nicht das Gefühl zu haben, dass alles sinnlos ist.«
»Alles ist sinnlos, du Idiot«, sagt sie. Das klingt schon eher nach ihr. »Ich weiß nicht, warum dir das plötzlich was ausmacht.«
Wir sitzen eine Weile da, dann lehnt sie sich zu mir rüber und senkt ihre Stimme zum Flüstern. »Können wir zu dir nach Haus fahren? Ich muss wenigstens über Nacht bleiben, und der Glöckner da drüben ist so gruselig.«
Ich lache. Das will sie.
»Ich bin hier«, sage ich wieder, damit sie sich besser fühlt, geborgener. »Ein bisschen von der Rolle, aber hier.«
Ihr Gesicht wird weicher, als ich das sage. Sie wirkt nicht mehr so ängstlich, sondern wieder wie meine Freundin. Die ich schon kenne, seit wir klein waren. Die ich geliebt habe. Und liebe.
Aber die Sache ist die: Ich weiß nicht, ob ich wieder dorthin zurückkehren soll, wo es Meredith und Mamie gibt. Ob ich das überhaupt will. Mein Herz hämmert, als ob es mir aus der Brust springen und mich verlassen könnte. Als ob ich hier rausrennen und ihm nachjagen würde.
Du bist ein Freak
Die Nacht schleicht sich ein, als wir nicht hingucken.
»Du fährst.« Sie wirft mir die Schlüssel zu. »Du fährst immer.«
Sie guckt mich an, ist eine Sekunde lang entsetzt. »Du fährst doch noch, oder?«
»Selbstverständlich.« Ich kann den Jeep über Nacht vor der Bibliothek stehen lassen. Sie bekommt die De-luxe-Tour durch die wunderschöne Main Street. Kurz und dreckig. Dann fliegen wir die Landstraße entlang, vorbei an der Abzweigung von Cals Straße und auf unsere. Langsam fahre ich die Holperpiste entlang.
»Himmel«, sagt sie, als wir an einem von Dads Schrotthaufen vorbeifahren. »Ich glaub, wir waren dreizehn, als wir das letzte Mal hier waren. Weißt du noch? Deine Mom hatte irgendeine große Sache bei ihrer Arbeit, die sie nicht verlegen konnte, und wir sind mit dem Zug für ein langes Wochenende hochgefahren? Was hat sie sich für Sorgen gemacht. Mann, was sollte denn passieren? Wir waren total aufgeregt, und dann war es nur ein normales Wochenende. Mit Bäumen.« Sie schaut sich um. »Ich hatte vergessen, wie hübsch es ist. Ist dein Dad wie immer?«
»Ja, ist er«, sage ich. »Und seine Freundin wohnt bei uns.«
»Das hat deine Mom nicht erwähnt.«
»Sie weiß es nicht.«
Das Haus ist dunkel, aber das Atelier leuchtet. Wir gucken rein und sagen Hallo zu Dad und Zara. Er ist geradezu lächerlich froh darüber, Meredith wiederzusehen – froh, dass ich eine Freundin mitgebracht habe.
Nick legt seine Arbeit hin und kommt auch rüber, um sie zu begrüßen. Sie mustert ihn von oben bis unten und lässt ihn dann abblitzen. Ist irgendwie witzig. Er wirkt so enttäuscht, dass er mir fast schon leidtut. Fast.
Ehe wir gehen, ruft er uns zu: »Ich arbeite bis spät, wenn ihr beiden später noch was machen wollt.«
Er hebt kurz den Finger, damit wir warten, flitzt ins Hinterzimmer und wieder raus, schleppt etwas an.
»Ich hab diesen Beamer im Atelier gefunden. Dein Dad sagt, Mary hat ihn hiergelassen. Wie wär’s wenn ich ihn anschließe und wir hier drinnen eine Vorführung machen? Die Damen haben die Wahl.«
Ich werfe ihm ein kleines Lächeln zu, er strengt sich so an, dann gehen wir zum Haus.
»Nun kommt schon!«, ruft er uns lachend nach. »Hier ist sonst nichts los!«
Wir treten
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