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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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in den Raum. Ein, zwei Minuten lang konnte ich ihr Gesicht kaum sehen.
    »Wren«, sagte sie, und es klang ernst, »ich hab einige Fragen und Bedenken die Arbeit betreffend, die du in diesem Jahr geleistet hast.«
    Meine Stimmung sank. Ich fühlte mich ertappt. So als ob ich eine Betrügerin wäre, die versuchte, Fotos zu machen, die gut waren, interessant sogar, daran aber total scheiterte. Ich rutschte tiefer runter auf meinem Stuhl, schloss die Augen vor dem Licht, das schräg durch die Fenster fiel.
    »Und«, sagte sie, »statt deine Arbeiten an diesem Wo chenende noch einmal neu aufzunehmen, wirst du Patrick zum Around the World begleiten müssen.« Ein großes Lächeln ging über ihr Gesicht.
    Ich brauchte eine Weile. Dann hab ich gelacht. Natürlich! Um die Welt . Das war das, was man sich in der Nellie Bly School unter einem Herbstball vorstellte. Meredith hatte mir immerzu erzählt, Patrick würde mich mögen. Miss Hennessy lächelte, froh, an diesem Streich beteiligt zu sein, und wies mit einem Nicken auf die jetzt offene Tür, wo Patrick an den Rahmen gelehnt stand und ganz schön nervös aussah und ziemlich süß.
    Sein Gesicht. Wie die späte Sonne schräg drauf fiel. Ich werde traurig. Du läufst jetzt , sage ich mir. Hier . Ich fang an, meine Schritte zu zählen. Laut. Manchmal funktioniert das. Ich tu alles, um den Kopf zu leeren.
    Ich laufe, bis ich nicht mehr kann, dann mach ich mich auf den Heimweg. Meine Muskeln sind wie durch den Wolf gedreht. Zum Denken bin ich zu müde. Herrlich. Nachdem ich mich unter der Dusche wieder aufgewärmt habe, such ich mir ein Podcast von einem College-Radiosender, auf dem Gedichte von Larkin gelesen werden. Ich lege mich auf mein Bett zum Zuhören, nur eine Minute.
    Ein Auto, das über den verharschten Schnee in der Auffahrt knirscht, weckt mich. Mein rechter Arm ist eingeschlafen, ich bin noch immer ins Handtuch gewickelt, und mein Haar ist zu einem verfilzten Gewirr getrocknet. Ich höre meinen Dad. Das Auto muss ihn aus dem Atelier geholt haben. Er redet extra laut, als ob er mir ein Zeichen geben, mir Aufschub verschaffen wollte. Ich renne rum, zieh Jeans an und ein Hemd, von dem ich mal fand, dass ich gut drin aussah, damals, als ich noch auf mein Aussehen geachtet habe. Ich fahre mir mit den Finger durchs Haar. Es ist lang und irgendwie wellig, vielleicht wirkt dieser Kissenlook ja wie gewollt. Die Zähne putze ich mir so schnell, dass ich mir mit der Zahnbürste ins Zahn fleisch steche, und ich forsche noch immer mit der Zunge nach Blut, als ich zur Tür rausrenne. Mein Dad lehnt am Fenster der Fahrerseite von Cals Auto. Ein anderes Auto, silbern. Sieht neu aus, teuer. Erinnert mich an das von Patrick. Ein Schauer überläuft mich, hoffentlich geht das als Zittern durch.
    Mein Dad klopft Cal auf die Schulter und rückt ab vom Fahrerfenster. »War schön, dich mal wieder zu sehen.« Er schießt mir einen Blick zu. Einen, der sagt: Mach das ja richtig. Ich nicke ihm zu und steige ein.
    Cal dreht sich zu mir, mit einem großen Lächeln im Gesicht. Damit sieht er noch besser auch. Warum in aller Welt ist er so froh, mich zu sehen?
    »Hi.« Nicht auf seine Augen achten. Ich werde rot. Oder vielleicht ist mein Gesicht noch rot vom Schlafen. Ich hebe die Hand zum Gesicht und taste nach Kissenspuren. Normalerweise wache ich mit denen auf. Ich bin benebelt. Mein Herz ist eine Trommel.
    »Selber, hi«, sagt Cal und grinst mich immer noch an.
    Er wartet, bis ich mich angeschnallt habe, dann fahren wir los. Mein Dad beobachtet uns und tut so, als täte er’s nicht.
    »Schön, dich zu sehen«, sagt Cal.
    Sag was. Sag irgendwas. Kann doch nicht so schwer sein. So langsam komme ich mir vor wie jemand, der gerade erst aus der Anstalt entlassen worden ist und mit »normalen menschlichen Verhaltensweisen« nicht vertraut ist. Darüber muss ich lachen.
    Gott. Die Anstalt. Meredith hatte es erfunden, um Andy zu quälen, wann immer sie mitkriegte, dass er den Versuch machte, mit einem Mädchen zu reden. So ist Meredith. Die wittert die Schwächen der Leute. Dann hat sie ihn immer mit ziemlich lauter Stimme daran erinnert, ja nicht den Kleinbus zurück in die Anstalt zu verpassen. Armer Andy. Das Schlimmste war, dass er in sie verliebt war.
    Ich muss schlucken, damit ich nicht noch mal lache. Meine trockene Kehle ist laut. Ich weiß gar nicht mehr, wann es mir das letzte Mal so ging. Müssen die Nerven sein.
    Cal schaut mich an, mit hochgezogener Augenbraue.
    Sag was.
    »Ich …

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