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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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zurückgezogen. Man sieht das Wasser dennoch, aber es ist Raum vor dem Abhang, eine breite Schieferterrasse, dann die Klippe, dann geht’s in die Tiefe.
    »Setz dich doch«, sagt er. Ich stehe neben dem Tisch wie festgefroren und halte seine Tasche. Er zieht einen Stuhl für mich vor. Ich stelle die Tasche drauf.
    Wir sitzen, nah beieinander. Ich spüre die Wärme seines Körpers, konzentriere mich auf die Fenster.
    »So«, sagt er schließlich. »Ich hab deinen Dad in der Stadt getroffen, vor der Autowerkstatt, und er hat mir erzählt, du würdest nach einer Beschäftigung suchen, damit du was zu tun hast?«
    Da horche ich auf.
    »Mein Dad hat dich nach einem Job für mich gefragt?«
    Eine eisige Welle rauscht über mich hinweg. Dann schießt Hitze in mein Gesicht. Der Raum fühlt sich klein an. Ich könnte sterben. Hat Cal mich überhaupt angerufen oder hat mein Dad einfach gelogen? Ich beiße die Zähne zusammen.
    »Das eigentlich nicht. Ich bin ihm begegnet, als ich das Auto habe winterfest machen lassen. Da hab ich ihm erzählt, dass ich dich kennengelernt hatte … wie ich dich kennengelernt hatte. Es ging mir nie gut damit, dass ich nicht mit ihm geredet hatte.«
    Unglaublich. Dad hat versäumt zu erwähnen, dass er Cal getroffen hat. Ganz im Gegenteil eigentlich. Er hat so getan, als ob Mary Cals Anrufe entgegengenommen hätte. Ich fühle mich krank.
    »Er wollte wissen, wie es mir geht, dann haben wir ein bisschen über dich geredet, da sagte er, er fürchte, du hättest nicht genug zu tun. Er meinte, das hier würde für uns beide perfekt passen. Ich mache ein Praktikum bei einem alten Kollegen meines Vaters. Dazu muss ich fahren, etwa eine Dreiviertelstunde. Wenn ich das Praktikum fortsetze, werde ich manchmal hingefahren werden müssen.« Er räuspert sich. »Gelegentlich … wenn ich lieber nicht selber fahren sollte.«
    Ich bin sauer auf meinen Dad. Er ist so leicht zu durchschauen. Er meint, ein Problem zu sehen, und stürzt sich drauf.
    »Stell einen Fahrer ein.« Ich bin stinkwütend, weil mein Dad mich so manipuliert hat. »Du kannst es dir leisten, und so ein Praktikum dauert ja nicht ewig.«
    Cal guckt mich erstaunt an. Wir schweigen. Ich schwöre, ich höre mein Blut durch den Körper rauschen.
    »Das hier ist nicht zeitlich begrenzt.« Seine Stimme ist gepresst. »Ich nehme eine Auszeit. Von der Uni. Ist nicht sicher, dass ich wieder zurückgehe. Das ist so ein Versuch … mal sehen …«
    Er bricht ab.
    Ich will weg von der wütenden Schiene, auf der ich fahre. »Architektur ist also nicht das, was du machen willst?«
    Er schaut weg, ignoriert meine Frage.
    »Vergiss es«, sagt er und schüttelt den Kopf. »Ich wollte doch nur versuchen … es sollte ja nicht mehr sein als eine Fahrt ab und zu, manchmal brauch ich auch Hilfe dabei, dieses Ding rumzuschleppen.« Er zeigt auf die Tasche, sieht eine Sekunde lang wütend aus. »Mein Gleichgewicht ist im Arsch. Die Tasche, der Schnee …«
    »Ich hab kein Auto«, sage ich, so als könnte ich es tun, so als wäre keine Verbindung zwischen meinem Mund und dem Lärm in meinem Inneren.
    »Ich geb dir die Schlüssel für den Jeep.«
    Ich nicke langsam. Aber der Raum wird kleiner. Für Cal arbeiten. Auf Abruf. Atmen ist nicht ganz leicht.
    »Kannst du ein Auto mit Knüppelschaltung fahren?« Er schaut mich an, beugt sich zu mir rüber. »Geht’s dir nicht gut?«
    Meine Glieder sind merkwürdig schwer. So als wären sie ohne mich zu Stein geworden. Ohne meinen Kopf. Zu viele Leute erwarten von mir, Dinge zu tun. Ich will keine Erwartungen erfüllen. Erwartet werden. Ich will einfach nur … sein. Ohne dass Erklärungen nötig sind. Ich. Ruhig. Irgendwas darüber hinaus ist zu riskant. Ich falte die Hände, sie sind eiskalt. Meine Arme wiegen eine Tonne. Ich versuche, das Gefühl wegzublinzeln, wieder in den Raum zurückzukommen.
    »Sorry«, sage ich, atme tief ein und fülle die Lungen gegen die lethargische Schwere der Erinnerung.
    Als wir zum dritten Mal miteinander ausgingen, ist Patrick mit mir nach Long Island gefahren und hat mir beigebracht, wie man mit Knüppelschaltung fährt. Im engen kleinen Sportwagen seines Vaters tauchte er vor unserem Haus auf, drückte unter meinem Fenster ganz leicht auf die Hupe, und wir sausten aus der Stadt, fühlten uns älter, als wir waren, und wie Glückspilze. Nachdem der Wachmann seine Runde am hinteren Ende des Platzes gedreht hatte, fuhr ich unter Patricks Anleitung von Stand zu Stand, dabei brachte er mir

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