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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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mit der Hand übers Gesicht. »Du musst nicht für Cal arbeiten, wenn du nicht willst. Ich lüge deine Mutter an. Halte sie noch eine Weile hin. Sie … wir wollen wirklich, dass du einen Freund findest.« Er schaut mich an. »Nichts überstürzen, okay?«
    Es gibt keinen anderen Ort, an den ich gehen könnte. Und hier zu sein, das ist es auch nicht. Ich bin ein dummes Mädchen, das ein absolut annehmbares Leben verhunzt hat, es weggewünscht hat, das einen Freund gehabt hat und ihn weggewünscht hat. Und dann sind meine Wünsche in Erfüllung gegangen.
    Dad schenkt sich noch einen ein. Eine Weile sitzen wir schweigend da. Leicht fällt der Schnee aufs Oberlicht.
    Ich schüttele den Kopf. Dann, obwohl das Herz mir hämmernd die Brust verbeult, werde ich Gott sei Dank härter. Ich bin reglos. Kühl. Ein Grabengel, der himmelwärts schaut.
    Die tiefe Stille, die ich nach dem Unfall gefunden habe, umfängt mich. Mein Dad scheint weit weg zu sein auf seinem Sessel, so groß ist die Entfernung zwischen uns. Ich wische mir übers Gesicht, die Tränen versiegen. Ich stehe auf und verlasse den Raum.
    »Wren?«, ruft er mir nach. »Geht es dir gut? Gehst du jetzt ins Haus?«
    Ich sage nichts. Es gibt nichts zu sagen.

Eine Seite muss weg
    Als ich am nächsten Tag nachmittags zum Laufen rausgehe, steht Cals Jeep da, vor unserem Haus, die Schlüssel stecken.
    Mein Dad braucht ein paar Stunden, bis er merkt, dass ich wieder aufgehört habe zu reden. Ich gehe ihm so lange wie möglich aus dem Weg, aber er behält mich im Auge und schnüffelt mehr als sonst im Haus herum. Am Ende stehen wir Schulter an Schulter in der kleinen Küche. Seine Fragen an mich fallen wie Krümel zwischen uns auf den Boden. Ich spüre, wie er ein bisschen in sich zusammensinkt, als ich nicht antworte. Beobachte, wie er noch etwas mehr schrumpft. Ich koche das Abendessen, und wir essen gemeinsam, still im Dunkeln. Ich bin leer, ruhig. Die Wellen sind laut.
    Eine Woche später liegt ein Zettel auf meinem Kopfkissen, als ich aufwache. »Alles gut«, steht da in der krakeligen Schrift meines Vaters. »Ich versteh das. Um deine Mutter kümmere ich mich. In der Bibliothek musst du trotzdem arbeiten.«
    Ich recke mich, dann bleibe ich eine Zeit lang liegen. Mein Handy ist weg. Wo es lag, am Platz des Ladegeräts, ist ein kleines gedrehtes Stück Metall, ein kleiner Vogel, so einer wie die, die er für mich gemacht hat, als ich noch klein war.
    Gegen Mittag kommt Mary ins Haus. Sie hat ein irres Gartenparty-Blumenkleid an, das wahrscheinlich von irgendeiner Hausfrau in den Sechzigerjahren genäht worden ist. Das trägt sie mit Gürtel über einem Paar lila Skinnyjeans. Ohrclips in Form von riesigen Gänseblümchen aus Plastik runden den Look ab. Ich kann beinahe schon den Flieder an ihr riechen. Sie ist ein Traum aus einer anderen Jahreszeit, einer anderen Welt. In der Hand, ein Zettel für mich. Und die Schlüssel vom Jeep.
    »Cal hat angerufen«, sagt sie und steckt ihr fröhliches Gesicht vor mir in die Luft. »Er will wissen, ob du bereit bist, ihm zu helfen, oder nicht.« Sie klimpert mit den Schlüsseln. »Er muss irgendwo hingefahren werden oder so? Ich glaub, ich weiß eigentlich nicht, was er will. Ich war gerade mit vierzig anderen Sachen beschäftigt, als er anrief. Aber egal, ich hab den Sicherheitscode für sein Haus notiert.«
    Ich schaue weg. Die Sache mit dem Stillsein ist die, dass man sich ziemlich weit entfernen kann, im Kopf, vergesslich, vage wird, so als wäre man nicht ganz da.
    Ich lese gerade Larkin. Wieder »Aubade«. Ich lege den Finger drauf, auf seine Zeilen, so als könnte ich sie irgendwie festhalten, lass mich von seinen Worten erfüllen, bis ich es wieder in mir ertragen kann. Worte, Küsse, genutzte Gelegenheiten oder vergebene Chancen, nichts davon ist wichtig. Lärm unter einem leeren Himmel.
    Larkin kannte diesen Nirgendort, hat auch darin gelebt, es trotzdem geschafft, ein Leben zu führen. Wenigstens für eine Weile.
    »Wren?« Marys Stimme schneidet durch die Leere. Ein wenig desorientiert schaue ich wieder zu ihr auf.
    »Willst du, dass ich ihn anrufe und ihm sage, er soll sich jemand anders suchen?« Wieder klimpert sie mit den Schlüsseln. Betrachtet mich mit schräg gelegtem Kopf, so als würde sie denken, ich sei vielleicht gar nicht da drinnen. Keiner zu Hause.
    Ich sehe mir den Zettel in ihrer Hand an. Stehe auf und strecke mich. Gehe zu ihr, schenke ihr einen hohlen Blick und nehme die Schlüssel. Ich bin leer.

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