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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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das letzte Stück unserer gewundenen Auffahrt entlanggehe. So schnell ich das kann in dem Schnee, so schnell, wie ich von der Bildfläche verschwinden kann.

Nichts zu sagen
    Im Atelier ist Licht. Drinnen lacht Dad. Ich reiße die Tür auf. Sie ist schwer, aber ich gebe ihr einen so heftigen Stoß, dass sie von der Wand abprallt. Er ist mit einer kleinen Gruppe von Assistenten zusammen und Mary. Ich erschrecke sie alle.
    »Du hast ihn gebeten, mich einzustellen!« Ich versuche, meine Lautstärke unter Kontrolle zu behalten, und scheitere.
    »Du – hast – ihn – gebeten – mich – einzustellen!«
    Er durchquert den Raum, dabei gibt er seinen Leuten ein Handzeichen. Sie huschen davon. Zara bleibt noch etwas länger und räumt Werkzeug weg. Sie wirft mir einen mitfühlenden Blick zu.
    »Wren«, sagt er. »Was ist passiert?«
    Ängstlich beäugt er mich, als habe Cal mir vielleicht wehgetan oder so. Und nicht er mit diesem demütigenden Verrat.
    »Du hast die ganze Sache eingefädelt«, sage ich. »Du hast mich angelogen.« Ich zittere vor Wut und etwas anderem.
    Ich hab das Gefühl, ich könnte einen Wagenheber nehmen, mir einen Weg durch diesen Raum bahnen und sämtliche Arbeiten zertrümmern. Arbeiten. So ein Witz. Völlig sinnlos. Diese Gruppe ernsthafter Leute, die hier tagaus, tagein an Sachen arbeiten. Wozu denn? Kleine Flammen gegen ein enormes Dunkel. Was hat das für einen Sinn? Wenn wir es sind, die es schaffen.
    »Ich bin hierhergekommen«, meine Stimme zittert, »ich bin hierhergekommen, weil du nie über mich geurteilt hast. Nie. Wenn ich dich besucht habe, als Heranwachsende, war das für mich so was wie eine freie Zeit. Ich war hier glücklich. Hab mich großartig gefühlt.« Ich bin blind von Tränen, Rotz. »Denn du mochtest mich immer genau so, wie ich war. Du hast nie von mir verlangt, irgendwas anderes zu sein.« Ich bin unendlich traurig.
    Er will den Arm um mich legen. Ich schüttele ihn ab. Er tritt einen Schritt zurück und nimmt mich am Ellenbogen, zieht mich rüber zu seinem kleinen Sitzbereich, drückt mich in einen Sessel, wartet ab.
    »Dad«, sage ich, als ich wieder sprechen kann. »Ich hab das Gefühl, ich muss hier raus. Irgendwo anders hin. Ich kann das nicht. Ich dachte, hier bei dir könnte ich einfach eine Weile sein .«
    »Warum?« Seine Stimme ist sanft. »Wren, warum denkst du, es könnte irgendwo anders besser sein? Anders?«
    Zara geht auf dem Weg nach draußen an uns vorbei, gibt meinem Dad eine Flasche Scotch und ein Schnapsglas, setzt mir einen Becher Kräutertee vor. Als sie geht, berührt sie mich leicht an der Schulter. Dad schenkt sich ein. Schiebt den Becher in meine Richtung. Ich schüttele den Kopf, aber er hebt ihn hoch. »Trink. Was Warmes.«
    Ich lasse den kochend heißen, honigsüßen Tee durch die Kehle rinnen. Er brennt sich durch mich hindurch wie ein tentaklisches Ding, raubt mir die Kraft und ich sinke in den Sessel zurück.
    »Es tut mir leid, dass du dich so aufregst.«
    Er reibt die eine seiner permanent farbverschmierten Hände über die abgewetzte Lehne seines Sessels.
    »Ich will nicht, dass du gehst. Es war unredlich von mir, die Sache einzufädeln, das sehe ich jetzt. Ich wollte nur, dass du jemanden hast. Jemanden in deinem Alter. Jemanden zum Reden.«
    »Aber das ist es doch, Dad«, sage ich. »Ich will nicht reden.«
    »Ich glaube, wenn sie es früher mal geschafft hätte, zu Besuch zu kommen«, er seufzt, »aber du weißt ja, Wren … deine Mutter … sie ist weit weg und sie macht sich Sorgen. Sie plant, hierherzukommen und dich davon zu überzeugen, mit ihr wegzugehen, irgendwo anders hin.«
    Ich stöhne und presse die Finger auf meine verschwollenen Augen.
    »Das will ich weder für dich noch für mich. Ich bin froh, dass du gekommen bist. Ich wollte dir mehr Zeit verschaffen für was auch immer du hier machst.«
    Er lehnt sich zurück und für einen Augenblick sieht er alt aus. Sogar seine Hände, die normalerweise so groß und tüchtig wirken, sind zwei schlappe Lappen in seinem Schoß.
    »Das hier soll ein Ort sein, an dem du du selbst sein kannst. Ich habe Fehler gemacht. Ich weiß. Ich hätte mehr da sein sollen. Geh jetzt nicht. Nicht so.«
    Es gibt Zeiten, in denen man älter ist als die eigenen Eltern oder zumindest mit ihnen gleichzieht. Ich sehe meinen Vater an, der vor meinen Augen schrumpft und begreife: Niemand wird mich retten. Niemand kann mich retten.
    »Ich bedauere, dass ich mich eingemischt habe«, sagt er und fährt sich

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