In allertiefster Wälder Nacht
hat. Ich bringe ein kleines Lächeln zustande. Die Haare fallen ihm einfach immer wieder in die Augen. Finde ich gut … diese Art, wie sie nach vorne fallen.
»Also … bist du auch Künstlerin?«
Ich zucke die Achseln, nicke. »Ich hab früher auch Bilder gemacht, Fotos.«
Dann verpasst er es mir.
»Weißt du, das, was dir passiert ist, muss nicht das Ende deines Lebens sein«, sagt er. Ganz locker. Das ist eine Taktik, die meine Mutter anwenden würde. Einen leichten Ton anschlagen, den Spieß umdrehen, ans Eingemachte gehen.
Das war’s für heute. Entweder bringt er mich jetzt nach Hause oder ich mach mich allein auf den Weg.
»Das war nicht mal eine Frage.« Ich bin rasend.
Die Wut in meiner Stimme überrascht ihn. Er macht den Mund auf, als wollte er etwas sagen, aber ich rede weiter. »Du musst bei mir nicht den Seelenklempner mimen. Dazu habe ich meine Mutter.«
»Wren …«
»Spar’s dir. All die matten Beileidsbekundungen. Wenn ich noch einen Menschen sagen höre, es ist nicht zu ändern …«
Ich bin sarkastisch. Ätzend. Wenn ich Angst habe, werde ich wütend.
»Ich …«, versucht er es wieder.
Ich schneide ihm das Wort ab.
»Glaub mir, ich hab das alles schon gehört seit Mai.«
Das ist eine Überreaktion, ich merke es, kann aber nicht aufhören.
»Funktioniert es bei dir? Dieses Scheißgerede darüber, dass doch alles okay ist? Dass du dich nur zusammenreißen musst und den nächsten Schritt machen? So ist das nämlich nicht. Es ist alles andere als okay. Und du solltest das besser wissen als jeder andere.«
Man sollte mich nicht auf die Öffentlichkeit loslassen. Eine Sekunde lang dreht sich der Raum schwindelerregend.
Dann ist es vorbei. In mir fällt etwas, sinkt ganz tief nach unten. Ich schaue in meinen Schoß. Eine schreckliche, bleischwere Einsamkeit. Unter ihrem Gewicht versuche ich zu atmen.
»Du hast recht. Es tut mir leid«, sagt er, als er meint, ich sei fertig.
Bin ich. Fertig.
»Ich wollte dich nicht wütend machen.« Er greift über den Tisch und will mich am Handgelenk berühren.
Ich ziehe die Hand weg. Im Restaurant ist es zu still. Ob ich tatsächlich so laut war, wie ich denke? Ein paar Leute schauen zu uns rüber.
»Ich möchte jetzt gehen«, flüstere ich. Ich kann ihn nicht ansehen. Wenn er mich nicht nach Haus bringt, werde ich laufen.
»Komm, nimm’s nicht krumm. Es tut mir leid. War blöd von mir, so was zu sagen.«
Ich schüttele den Kopf.
»War ein Fehler. Mein Fehler, will ich damit sagen. Auszugehen. Liegt nicht an dir.«
Ich muss weg. Ich muss hier raus. Diese Stadt ist zu klein.
Einen Moment lang guckt er mich wirklich traurig an.
»Bitte«, bettele ich. Meine Stimme hab ich kaum in der Gewalt. Ich will ihn wirklich nicht stehen lassen, aber wenn er uns nicht sofort hier rausbringt, werde ich es tun.
Er sieht es mir an. Gibt der Kellnerin ein Zeichen. Nachdem er schnell versichert hat, dass das Essen ganz großartig war, lässt er Geld auf dem Tisch liegen und wir sind weg.
Bin ich erleichtert. Das Auto reicht mir schon, das eisige Schweigen, nachdem meine Tür sich mit einem dumpfen Geräusch schließt. Ich lehne mich im Sitz zurück, den Blick auf die Windschutzscheibe gerichtet. Nie im Leben werde ich ihn wieder ansehen können.
»Tut mir leid …«, sage ich, als er einsteigt.
Er hebt die Hand. »Nein, war meine Schuld. Echt. Ich war blöd. Du hast dich ganz klar ausgedrückt.«
Er fährt das Auto schnell über die verschneiten Straßen. Wir schneiden einen Pfad des Schweigens in die umhüllte Landschaft. In dunklem Stakkato peitschen Bäume vorbei. Der Himmel strotzt vor Tiefe.
Im Nu haben wir unsere Straße erreicht.
»Hier, das reicht schon«, sage ich und will aussteigen, als er gerade erst in die Auffahrt abbiegt.
»Ich bring dich bis zur Tür«, sagt er erstaunt.
Ich schüttele den Kopf. »Hier ist gut.«
Erklären kann ich es nicht, ich muss raus aus diesem Auto, sofort, ehe ich anfange zu schreien. Hier drinnen ist keine Luft. Ich hab einen ernsthaften Schaden. Ich komme gar nicht mehr zurecht. Ich bin völlig neben der Spur. Mit meinem Herz ist irgendwas, wenn ich in seiner Nähe bin. Und das bringt alles durcheinander. Er ist zu nah, zu vertraut oder so. Ich werde mich nicht wieder in irgendwas verwickeln lassen. Mit niemandem. Nicht so. Und schon gar nicht, weil meine Eltern das so geplant haben.
Er hat kaum angehalten, da bin ich schon draußen.
»Danke für das Essen«, rufe ich über die Schulter, während ich
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