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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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gut.« Ich nicke, langsam.
    Aber das wird nie passieren. Ich treibe davon. Fühlen ist zu schwer. Ich bin ausgelaugt. Will nach Hause.
    Wie aufs Stichwort kommt dieser Mann mit einem kleinen Teil aus geschweißtem Stahl aus der Bürobaracke. Mary bedankt sich bei ihm, plaudert noch eine Weile mühelos und quittiert den Empfang.
    Die Heimfahrt durch den Schnee ist still.

Mach die Augen auf
    Die dunkelste Nacht des Jahres.
    Für einige dunkler als für andere. Patricks Familie nähert sich ihrem ersten Weihnachten ohne ihn. Ich sollte anrufen. Ich schaue auf mein Telefon und stelle mir vor, das tatsächlich zu tun. Wenigstens ein Mal. Und all die ungelesenen Nachrichten von Emma in meiner Inbox … Schuld, Schuld, Schuld. Ich bin schwach. Ich drehe mich um, schlafe noch ein bisschen.
    Schließlich schleppe ich mich aus dem Bett wie eine Neunzigjährige, fahre zur Arbeit. Cal hat seit Tagen nicht angerufen. Nicht, seit Mary und ich shoppen waren. Mein Telefon ist stumm wie ein Stein. Wahrscheinlich hat er’s sich anders überlegt. Er hatte Gelegenheit, sich alles noch mal durch den Kopf gehen zu lassen und hat erkannt, was für ein Wrack ich bin, ist zur Vernunft gekommen. Schön für ihn. Vielleicht hat Mary sich eingeschaltet nach unserem Gespräch im Auto und ihm gesagt, er soll sich in Sicherheit bringen. Ich muss immer an sie denken. Was mir alles entgangen ist. Jetzt verlasse ich mich auf nichts mehr, was ich zu wissen glaube. Das ist wohl der Preis, den ich dafür zahlen muss, dass ich so weit weggesegelt bin. Wahrscheinlich hab ich auch falsch ausgelegt, was zwischen mir und Cal bei ihm zu Haus passiert ist.
    Trotzdem checke ich mein Handy. Behalte die Tür der Bibliothek im Auge. Als ob je jemand anderes als Lucy reinkommen würde. Anrufen kann ich ihn nicht. Mamie hätte das vielleicht getan, sie hat sich nicht davor gefürchtet, Leute in eine unangenehme Lage zu bringen.
    Nein. Ich muss nicht anrufen. Wenn ich es nicht falsch ausgelegt habe, dann ist ihm offensichtlich klar geworden, dass ich eine Katastrophe bin. Nicht der Mühe wert. Diesen Gedanken schlucke ich wie einen Ziegelstein runter. Aber es ist besser so. Das war sowieso genau das, was ich nicht wollte. All diese Gefühle.
    Lucy lässt mich für ihre ans Haus Gefesselten Bücher stapeln. Sonderlieferungen, die noch raussollen, bevor wir für die Winterferien schließen. Dinge ändern sich. So ist das Leben. Während ich Bücher auf die Stapel der Stammkunden sortiere, lasse ich vor mir ablaufen, wie es werden wird. Ein stummes Skript, Regieanweisung: Mary geht ab, ich arbeite, Cal … für Cal hab ich keine, aber ich werde einen Weg finden, wieder dichtzumachen. Dann ist es wieder wie vorher, und ich hab nicht mehr das Gefühl, im nächsten Augenblick zu zerbrechen. Als würde mein vernichtetes, vernichtendes Herz nicht ständig entblößt sein.
    Auf der Heimfahrt höre ich Patricks Stimme im Kopf, den O-Ton, so deutlich, dass ich beinahe von der Straße abkomme. Er lacht mich aus. Dann Gebrüll, als ihm klar wurde, dass ich es ernst meinte, als ich ihm sagte, dass ich Schluss mache. Ich hatte gedacht, er würde das verstehen, es von meinem Standpunkt aus sehen können. Zu lange war ich dieses Mädchen gewesen, Mamie und Patrick – ich die Spleenige, er der Coole.
    Ich sehe kaum noch was, als ich Cals Jeep neben unserem Haus parke, das Gesicht presse ich in die feuchte Wolle meiner Handschuhe, bis ich normal atmen kann. Ich sollte dieses Auto nicht fahren. Es nicht hierbehalten. Ich sollte es irgendwie zu seinem Haus zurückbringen, klare Verhältnisse schaffen, es abstellen und nach Hause laufen. Aber nicht jetzt, nicht wenn das Risiko besteht, dass ich ihn sehen könnte. Vielleicht morgen in aller Frühe.
    Ich gehe ins leere Haus, ziehe mich um und mache mich gleich auf zu einem Lauf. Einem langen. Bis hoch über die Stadt, zum Aussichtspunkt. Himmelweit weg von seinem Haus. Da oben, fast am Gipfel, dringt die Aussicht mit solcher Gewalt in mich ein, dass ich eine dieser blitzartigen Eingebungen habe, mich ins Meer zu stürzen, mich der enormen Wildheit zu ergeben, der grauen Kraft der wogenden See, den harten Felsen. So furchterregend erscheint sie mir nicht, diese Vorstellung. Sie könnte viel Ruhe bringen. Endlose Ruhe.
    Als mein Telefon klingelt, geschieht das so unerwartet und passt so gar nicht da hin, wo ich gerade bin, dass ich das Geräusch einen Moment lang nicht mal einordnen kann.
    »Liebling.«
    »Hi, Mom.«
    »Ich hatte gerade

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