In allertiefster Wälder Nacht
entfernt sich von der Couch. Mir fällt es schwer, Cal anzuschauen. Ich bin so überwältigt und so glücklich, ihn hierzuhaben, ich glaube, daran könnte ich zerbrechen.
Er weiß das auch und lehnt sich rüber, um mir einen kleinen Kuss unters Ohr zu schmuggeln.
»Frohe Weihnachten, Wren«, sagt er.
Mein Dad kommt mit drei Likörgläsern Chambord zurück, erhebt seins und sagt: »Ihr Jungen seid die Heilige Nacht, erhebt eure Gläser auf alles, was Wonnen gewährt.«
Wir stoßen an, die zarten Ränder klingen glöckchengleich.
Er setzt sich in den Sessel, das Licht knipst er wieder aus, damit wir nach draußen schauen können. Das echte Geschenk ist Zeit. Jetzt. Einander zu haben, diese Nacht und die weite mondversilberte See.
Swap Night
Es gibt keine Auszeit. In den wenigen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr wird unser Haus ein Tummelplatz für Caterer, Kunstspediteure, Champagnerlieferanten. Ich mache mich davon, wann immer ich kann. Die Bibliothek ist offiziell geschlossen in dieser Woche, aber Lucy gewährt mir trotzdem Unterschlupf. Sie ist selber da, macht Frühjahrsputz, wie sie das nennt, schiebt eine Bohnermaschine herum und wäscht Regale und Holzverkleidungen mit der Hand ab.
Mary ist rund um die Uhr im Atelier, bringt Arbeiten zu Ende und lässt sich von meinem Dad bei der Auswahl der Stücke unterstützen, die sie den Kuratoren zeigen wird. Sie bittet mich, zu ihrem letzten Geheimen Kinoclub zu kommen, einer Abschiedsparty für sie, wie ich höre, doch ich lehne ab. Sogar ein Stummfilm wäre mir zurzeit zu laut. Mary wird uns verlassen und Cals Bruder kommt zur Party. Beide Wahrheiten flattern wie gefangene Vögel in meiner Brust.
Nur Cal scheint zu verstehen, wie mein Herz in mir hämmert, sich an meinen Rippen grün und blau schlägt, wie schwer es ist, überhaupt einen Rhythmus zu finden. Er drängt mich nicht, mit ihm zum Geheimen Kinoclub zu gehen, zieht mich auch nicht auf, wenn ich den Weg zwischen unseren Häusern lieber laufe, statt den Jeep zu nehmen.
Michael trifft Silvester ein, wenige Stunden vor der Party. Cal bittet mich, zu ihm rüberzukommen, bevor alles anfängt, damit er mir seinen Bruder vorstellen kann. Aber ich schaffe es nicht, so rechtzeitig vom Laufen zurück zu sein, dass ich zu ihm und wieder zurück fahren und immer noch mein Versprechen halten könnte, mich mit Mary zusammen fertig zu machen. Ich simse eine lahme Entschuldigung.
Marys Gesicht wird ein bisschen länger, als ich wieder ins Haus gestapft komme, hochrot und Schweiß triefend. Sie hat auf mich gewartet, und hinter ihr, an der Wand meines Zimmers, entdecke ich ordentlich nebeneinander aufgereihte Secondhandkoffer. Gepackt und reisefertig.
»Ich geh sofort unter die Dusche«, sage ich, anstatt mich dafür zu entschuldigen, dass ich später wiedergekommen bin, als ich versprochen hatte.
»Wir haben Zeit«, sagt sie strahlend, obwohl wir eigentlich nicht viel haben. »Dein Dad hat mich aus dem Atelier geworfen. Er sagt, ich darf es erst zur Party sehen.« In meinem Zimmer ist Licht an, ihre nervöse Anspannung knistert darin. Mir macht das Lust auf ein Nickerchen.
»Geh duschen.« Sie legt einen flammenfarbenen Koffer auf mein Bett und lässt die Messingverschlüsse klacken. »Ich hänge die Kleider auf. Was ich mir für dein Haar ausgedacht habe, wirst du lieben!«
Ein Nickerchen ist es nicht, aber unter der Dusche ist es warm und ruhig, und ich nutze jede Minute, um mich zu entspannen, mir zu versichern, dass alles in Ordnung ist. Das ist Marys Abend. Da soll sie glänzen.
Während Mary mein Haar dreht und windet und mit den altmodischen Elfenbeinkämmen und juwelenbesetzten Haarnadeln, die ihre Großmutter ihr geschenkt hat, zu Schillerlocken aufsteckt, schwärmen die Sterne an den hohen Himmel. Wir ziehen die Reißverschlüsse unserer Kleider hoch, als erste Autos die Auffahrt säumen. Mein Dad steckt schließlich den Kopf zur Tür herein und lässt uns wissen, dass es jetzt losgeht.
Das Atelier ist verwandelt, hat mehr von einer Galerie als von einem Arbeitsraum. Vogelkäfige aus Draht baumeln kerzenbestückt in verschiedenen Höhen von der Dachschräge. Einen davon hat mein Vater gemacht, für Mary, drei kleine Drahtvögel sind darin aufgehängt, ein Abschiedsgeschenk.
Kerzenschein flackert auf jeder Fläche im Atelier, lebendig, wie Licht auf Wasser. Das macht alles noch schöner. Und es ist voll. Leute, die ich noch nie gesehen habe. Mein Dad und die Kuratoren begrüßen alle an der
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