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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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hier?
    Ich nehme eine Pille raus, schlucke sie trocken und schütte den Rest wieder ins Glas zurück. Gehe wieder in mein Zimmer, leg mich hin. Ich kann nicht still liegen, setze mich wieder auf. Wünschte, mein Dad wäre zu Hause, es wäre noch jemand im Haus. Ich hab so viel Energie. Ich könnte den Raum erleuchten, wenn ich sie auf irgendeine Art rauslassen könnte. Ich guck auf die Uhr. Es ist nach Mitternacht, Geisterstunde, würde meine Mutter sagen.
    Meine Laufklamotten liegen auf einem Haufen in der Ecke. Ehe ich es mir anders überlegen kann, ziehe ich sie an. Mein Herz schlägt eine Million Mal pro Minute. Es tut weh. Ich muss raus aus dem Haus. Es ist so, als ob ich aus dem Körper fahren könnte. Die Tablette hat nicht die geringste Wirkung. Ich kann mir kaum die Schuhe zubinden.
    Ich sprinte aus der Tür, nehme mir kaum Zeit, sie hinter mir zu schließen. Im Atelier ist Licht. Nick. Arbeitet noch. Oder vielleicht hat Dad ihn gebeten, zu bleiben, nach mir zu schauen. Bei dieser Vorstellung könnte ich schreien. Ich tu’s nicht. Ich will nicht, dass er rauskommt, will mich nicht erklären müssen.
    Der Wald steht stumm und schweigt. Das ist eine Zeile von irgendwoher. Berühmt. Ein Gedicht. Mussten wir in der Schule lernen. Irgendwas. Irgendwas Stummes, Schweigendes? Offenbar zu lange her für mein Gedächtnis. Den Rhythmus spüre ich noch, die Worte nicht. Und genau so habe ich in letzter Zeit gelebt. Eindrücke. Gesten ohne Bedeutung.
    Der Wald steht stumm und schweigt, und ich renne durch ihn hindurch, bis ich gar nichts mehr fühle. Äste lassen nassen Schnee auf mich fallen, als ich hindurchbreche. Die scharlachroten Zweige vom kahlen Hartriegel peitschen Arme und Gesicht. Ich verliere den Pfad aus den Augen. Presche durch tiefere, immer tiefere Teile des Wal des. So als würde der Wald sich auftun und mich wirklich in sich aufnehmen, wäre ich nur schnell genug. Ich laufe, bis ich brenne. In der Brust schreit meine Lunge, die Mu skeln stehen in Flammen. Mein Herz ist eine Maschine.
    Endlich, endlich komme ich wieder zu mir selbst. Bin ruhiger. Ich lache. Es hat funktioniert. Scheiß auf Moms Irrenarzt und seine wohlgesetzten Worte. Ich kann immer noch raus. Ich kann der schrecklichen Gefühlswelle davonlaufen, die über mich kommt und mich runterzieht. Das ist alles, was ich wissen musste, um mich zu beruhigen. Ich kann immer noch raus und weg.
    Etwas Großes fliegt über mir. Mein Blick wird scharf, ich nehme meine Umgebung wahr. Zweige brechen, als etwas anderes zwischen ihnen durchläuft. Ich hab mich verirrt. Es ist richtig dunkel und alles sieht gleich aus. Ich versuche, leise zu sein, nach dem Meer zu lauschen. Dann könnte ich den Highway finden, ihm folgen bis nach Hause, aber das einzige Geräusch ist mein Blut, das in meinen Ohren röhrt und mein flattriges, donnerndes Herz.
    Ich schließe die Augen. Warte, dass meine Atmung sich beruhigt. Jetzt bin ich müde. Und kalt. Vielleicht sind das die Schlaftabletten. Ich lasse die Augen zu und versuche, zu gehen, instinktiv den Weg zu finden, wie ein Tier. Ich falle. Reiße mir die Hosen an etwas Hartem auf dem Boden auf. Mache die Augen wieder auf. Ein Stein. Mein Bein ist so kalt, dass ich es kaum spüre.
    Ich glaube, ich höre einen Lastwagen. Vor mir. Vielleicht ist das der Highway. Dahinter, Wasser. Zuhause. Es ist sehr still. Die Bäume wispern, still.
    Ich gehe in die Richtung, in der ich den Lastwagen gehört habe. Schließe ab und zu die Augen beim Lauschen. Höre noch einen. Richtig, ich komme auf dem Highway raus, zwei, drei Kilometer südlich von unserer Abfahrt. Und ich friere, zittere ziemlich stark. Ich werde laufen müssen, wenn ich es bis nach Haus schaffen will. Mein Körper protestiert. Meine Muskeln sind total erschöpft. Ich tu es trotzdem.
    Nimm das, Dr. Lang! Hier bin ich, und ich rette mich selbst. Also hab ich vermutlich doch einen Plan. Ich bleib einfach da und hoffe, dass es besser wird. Aber so kalt war mir noch nie. Ich fang an, über meine Füße zu stolpern. Meine Beine sind hölzern, eine Hand brennt, die andere ist taub. Ob das so ist für Cal? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich taumele, renne aber immer noch, komme näher. Darauf konzentriere ich mich. Aufs Näherkommen. Zu diesem Rhythmus laufe ich. Der Mond steht hoch und hell und ich bilde mir ein, dass es Spätnachmittag is t. Ich laufe mit der Sonnenhitze auf den Schultern. Die Sonne ist immer eine Überraschung, wenn ich aus dem Wald komme, egal, wie oft

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