In allertiefster Wälder Nacht
ich es mache. Strahlende, klare Wärme nach dem gedämpften Dunkel.
Die Straße vor mir strahlt sogar noch mehr. Ich brauche eine Weile, bis mir klar wird, dass es Scheinwerfer sind. Hinter mir hält ein Auto. Dann eine Stimme. Cals Stimme.
»Wren?«
Ungläubigkeit. Von uns beiden.
Ich drehe mich um und seh das Auto an. Er steht auf der Beifahrerseite. Vielleicht hab ich Halluzinationen. Wer fährt? Ich will fragen, kann aber nicht reden. Ich zittere zu stark.
Er lehnt sich ins Auto, greift sich eine Krücke und eilt auf mich zu.
Ich kann keine Worte bilden. Meine Zunge ist im Mund festgefroren.
»Wren?« Er zieht die Jacke aus. Wickelt sie um mich. »Was machst du hier draußen? Weißt du, wie spät es ist?«
Spät. Irgendwo ganz tief drinnen finde ich das witzig.
»Du frierst. Hast du den Verstand verloren?«
Noch witziger.
»Sag was.« Er rüttelt mich an den Schultern. Reibt meine Arme. Ich spüre das. Nun bin ich mir ziemlich sicher, dass er echt ist.
Dann geht die Fahrertür auf und eine dunkelhaarige Frau erscheint. Très chic.
»Cal?«, sagt sie. »Was ist los?«
Cal zieht mich aufs Auto zu. »Es ist Wren, Susanna«, sagt er.
Susanna.
»Sie ist ganz kalt. Wir müssen sie aufwärmen.«
Jetzt ist alles klar. Mary und Michael wissen gar nichts. Cal sehnt sich nicht zu Tode nach mir. Er ist drüber weg, hat den nächsten Schritt getan. Mit einem Ruck reiße ich meine Arme weg, bringe ihn aus dem Gleichgewicht. Er muss sich am Auto festhalten. Wieder greift er nach mir.
Ein Adrenalinstoß durchschießt mich, wie Strom. Ich lasse seine Jacke fallen, sehe ihn eine Sekunde lang an und renne los in die Wälder auf unserer Seite des Highway.
Es ist eine Erleichterung. Ich bin diejenige, die weggeht. Keine Verluste mehr für mich. Nicht dieses Mal. Ich werde alleine nach Hause kommen. Ohne seine Hilf e. Ich bin sowieso schon fast da. So machen Leute das. Sie passen auf sich auf. Sie halten sich nicht mit lächerlichen Vorstellungen über die Liebe auf und dass die sie retten wird. Was für ein Dummkopf ich doch bin. Wie oft muss ich denn noch nach dem Happy End greifen, bis ich merke, dass es nicht da ist.
Und dann ist mir nicht mehr kalt. Im Gegenteil. Ich glühe von innen. So richtig und wahrhaftig hab ich mich noch nie gefühlt. Entzündet. Ich ziehe die Jacke aus und lasse sie in ein Gebüsch fallen.
Es ist wie ein wunderbarer Traum. Der Mond ist ein Spotlight über dem Wasser. Er lockt mich. Ich muss ihn sehen, ans Meer gelangen, hören, wie die Wellen auf die Felsen schlagen, ganz nah an etwas Echtem sein.
Ich laufe nicht weiter in die Richtung, in der unsere Zufahrt liegt, und halte auf die Küste zu. Ich kann hören, wie Cal meinen Namen ruft, und sie auch, dann werden ihre Stimmen leiser, verklingen in der Ferne. Ich laufe weiter.
Die Felsstufen sind ein Amphitheater in der fassbaren Welt. Mehr brauche ich nicht. Ich klettere ein Stück nach unten, rutsche einmal aus. Ein alter, kaputter Fischerkahn ist an einer flachen Stelle ans Ufer gezogen worden. Sieht aus, als ob er da schon ewig wäre. Ein Platz, an dem ich mich etwas ausruhen kann. Ich bin so müde.
Dann noch mehr Stimmen.
Die von meinem Dad. Einer Frau. Wieder mein Dad. Sie brechen hinter mir durchs Geäst.
Ich steig aus dem Boot. Weiß nicht genau, wo ich hinlaufe. Weg. Ich rutsche auf den vereisten Felsen aus. Mein Fuß ist im Wasser. Jemand packt mich fest. Ich erlebe einen Augenblick absoluter Klarheit, als würde ich aus irgendwas erwachen. Dann werde ich ohnmächtig.
Leuchtfeuer
Ich mach die Augen auf.
Nick.
Mach sie wieder zu.
Und noch mal auf.
Mein Vater, sein Gesicht eine seltsame Maske.
Cal.
Zara.
Wieder Nick.
Ein Typ, den ich nicht kenne. Noch einer. Ihre Münder bewegen sich. Tonlos.
Cals Gesicht. Außer sich vor Angst.
Mach sie wieder zu.
Ganz lange.
Die einzige Luft
Dann: »Also, wenn ein Besuch beim Psychiater so was bei ihr bewirkt, werde ich ganz bestimmt nicht von ihr verlangen, noch mal hinzugehen.«
Mein Dad.
Und: »Ich bin nicht engstirnig, und nein, ich hab keine Ahnung, worüber sie geredet haben. Hat sie nicht gesagt.«
Ich kann die andere Person nicht hören. Er telefoniert.
»Nun, Lila«, sagt er. »Ich setz sie nicht so unter Druck. Sie wird mir erzählen, was sie will, wenn sie dazu bereit ist.«
Lange Pause.
»Ich hab sie nicht verlassen. Wir haben uns scheiden lassen. Gib mir nicht die Schuld an dieser Sache.« Seine Stimme wird lauter, schlägt dann in ein wütendes Flüstern
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