In allertiefster Wälder Nacht
Taschentuch in der Hand.
»Cal hat uns angerufen, als du ihm auf der Straße weggelaufen bist. Er hat Nick im Atelier erreicht und dich durch den Wald verfolgt.«
Er schüttelt den Kopf, als würde er das Ganze noch mal durchleben.
»Nick ist im Haus geblieben, für den Fall, dass du zurückkommst. Zara und ich haben uns mit Cal zusammengetan und nach dir gesucht. Es war seine Idee, am Wasser nachzusehen. Er sagte, du schaust gern aufs Meer, wenn es dir schlecht geht.«
Cal wusste das von mir. Als ich daran denke, überläuft mich ein kleiner Schauer. Weil ich jemandem wichtig bin. Ihm.
»Wir sind vom Haus aus runter zu den Felsen geklettert und weiter in südliche Richtung, bis wir dich entdeckt haben. Du sahst aus, als wärst du bereit, wieder wegzurennen.«
Er schaut mich an. »Nick hatte einen Krankenwagen gerufen. Und das war gut, denn … du warst ziemlich kalt, Mädchen.«
Er atmet aus, keuchend.
»Das tut mir ja so leid, Dad.« Das ist alles, was ich sagen kann. Und es stimmt. Unvorstellbar, dass ein Mensch etwas noch mehr bedauern könnte als ich jetzt. Ich weiß nicht, warum ich mich nicht wieder einkriegen und normal werden kann – und nicht mehr allen wehtue. »Ich hatte gar nicht vor, so viel Ärger zu machen.«
»Schon in Ordnung.« Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich weiß. Wir schaffen das gemeinsam.«
Er greift nach den Papiertüchern und putzt sich noch mal laut die Nase. Ich ziehe eine Augenbraue hoch. Er lacht und drückt mich, dass die Rippen knacken.
»So, es ist nur fair«, sagt er und lässt mich wieder atmen, »wenn du nichts dagegen hast … Cal hat die ganze Nacht da draußen gewartet.« Mit schräg gelegtem Kopf weist er auf die Tür. »Kann ich ihn reinlassen?«
Er ist hier. Mein Magen geht auf Berg- und Talfahrt.
Ich nicke.
Ist das Beste, wenn ich es hinter mich bringe. Ihn loslasse. Er hat genug mitgemacht. Muss nicht noch mit meinem sinkenden Schiff untergehen.
Mein Dad geht und lässt Cal rein. Groß und schön. Violette Schatten um die Augen. Als ob er die ganze Nacht wach gewesen wäre. Ich richte mich ein bisschen mehr auf und rutsche ein Stück zur Seite. Er setzt sich neben mich, zieht mich in seine Arme.
Der Himmel.
Das macht es schwerer. Ich muss es hinter mich bringen, mache den Mund auf und sage ihm, es tue mir leid, dass ich eine Katastrophe sei. Mein Hals schnürt sich zu. Mach es kurz und schmerzlos. Ich schlucke, heftig.
Er presst das Gesicht an meinen Hals und atmet so tief, als wollte er mich einatmen.
»Ich dachte, du würdest sterben«, sagt er schließlich. »Es gibt Tiere im Wald, Wren. Wildkatzen. Wölfe. Es ist Winter. Was hast du dir dabei gedacht? Du bist nicht in der Stadt, weißt du, das hier ist Natur .«
Er hält mich so fest im Arm, dass es wehtut, sein Herz hämmert gegen mich.
»Es tut mir leid.«
»Deine Lippen waren blau. Dein ganzes Gesicht. Als dein Dad und Zara dich aus dem Wald geholt haben … bis wir wieder beim Haus waren …«
Ich muss wissen, wo wir stehen. Sofort. Damit ich loslassen kann.
»Wo ist Susanna?«
Er schaut mich an, als sei das eine seltsame Frage, total abwegig, und schüttelt den Kopf. »Zu Haus vielleicht, glaub ich, weiß ich nicht, hab nicht mit ihr gesprochen.«
Zu Haus. Bei ihm zu Haus. Sie wohnt bei ihm.
»Ist sie zurück … aus Spanien?«
Er entspannt sich ein wenig auf meinem Kissen, schaut mich an. Wir liegen Seite an Seite. Er hält mich, als wolle er meinen ganzen Körper wärmen.
»Du und Nick …«, sagt er langsam, so als würde er jedes Wort abwägen.
Und los geht’s.
Er fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Ich will, dass du glücklich bist. Ich will dich nicht zurückhalten.« Er guckt an die Decke.
Susanna ist hier. Sie wird wieder Einzug in sein Leben halten. Ich mache die Augen zu.
»Es gibt kein Nick und ich«, sage ich. »Das wollte ich dir sagen, aber wenn du rauswillst aus der Sache …«
»Wenn ich rauswill.«
Bitteres Lachen.
»Wieso kapierst du das nicht?« Er zwingt mich, ihn anzusehen. »Ein so tief empfindender, wahrhaftiger Mensch wie du ist mir noch nie begegnet. Wenn ich mit dir zusammen bin, geht es mir gut.«
Ich fange an zu weinen. Erleichterung oder so was. Beinahe lasse ich es an mich ran, was er eben zu mir gesagt hat, kann es fühlen. Beinahe.
»Da war nichts mit Nick. Er ist mir an dem Morgen gefolgt«, sage ich. »Ich hab ihn nicht darum gebeten.«
»Dein Gesicht … du wirktest so schuldbewusst, als Miriam mit dir geredet hat«, sagt
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