In allertiefster Wälder Nacht
denn sein? Du machst das doch nur, weil du mir nicht vertraust. Können wir das nicht hinter uns lassen? Kann nicht einfach alles wieder normal werden? Oder was immer es vor neulich Nacht war?«
»Es geht nicht um dich, und es ist durchaus nicht so, dass wir dir nicht vertrauen …«, fängt er an.
Sie legt ihre Hand auf seine. Sie verstummen beide. Ihr Schweigen macht es schlimmer.
»Das ist ja so ein Scheiß, Dad. Warum sagst du es nicht einfach?« Meine Stimme ist lauter als beabsichtigt. »Es ist durchaus nicht so, dass wir dir nicht trauen …«, äffe ich ihn nach und fühle mich gemein dabei. »Das ist einzig und allein, weil ihr mir nicht traut.« Ich wende mich an Zara. »Ist dir der Gedanke gekommen, dass er sich plötzlich zu dir bekennen könnte, weil er einen Babysitter für seine verrückte Tochter braucht?«
Das ist unfair. Wenn ich könnte, würde ich es zurücknehmen. Ich beobachte ihr Gesicht, erwarte Gekränktsein. Stattdessen scheint sie mich zu bedauern.
»Wren.« Mein Dad legt die Gabel hin, wischt sich den Mund ab und fixiert mich. »Zara und ich sprechen schon lange darüber. Ich hätte dich einbeziehen, dir mehr über mein Leben erzählen sollen. Ich dachte, du hättest schon genug mit dir zu tun. Du bist wütend. Das sehe ich. Ich hab Fehler gemacht, das weiß ich.«
Er steht vom Tisch auf, geht zu einem Schrank neben dem Kühlschrank und holt eine Flasche Wein raus. Gießt sich ein Glas ein, hebt ein leeres Glas Richtung Zara. Sie schüttelt den Kopf.
»Und jetzt, wo du hier oben bist … bemühe ich mich. Wir werden mehr da sein. Alle zusammen. Dieses Haus ist zu still. Du bist zu viel allein.«
Ich atme entnervt aus. Ich will vom Tisch aufstehen und aus der Küche gehen. Aber damit würde ich ihnen nur recht geben, nicht zurechnungsfähig scheinen. Ich bleib schön sitzen.
Dad kommt wieder an den Tisch, setzt sich mit viel Lärm auf seinen Stuhl.
»Iss.«
Ich nehme meine Gabel, kratze damit an einem Stück festgebackenem Teig herum.
»Manchmal«, sagt Zara, ihre Stimme ist sanft, »sind Leute depressiv, glaube ich, weil sie nicht in der Lage sind, etwas zu sagen, etwas Wahres über sich selbst.«
Ihre Worte fliegen durch mich hindurch. Brennen sich einen schmerzenden Pfad. Ich weiß eigentlich nicht, was sie meint, aber es fühlt sich an, als würde sie mir etwas Großes, Wichtiges, Schweres mitteilen.
»Das hier ist etwas Gutes, Wren«, behauptet mein Dad hartnäckig. »Ich glaube nicht, dass du einen Babysitter brauchst. Ich glaube, du brauchst ein bisschen Familie.«
»Dazu ist es ein wenig zu spät, Dad.«
Ich schiebe den Stuhl vom Tisch weg, er scharrt über den Boden. Es ist laut. Sie schrecken beide zusammen, als würde ich nach ihnen ausholen. Plötzlich kapiere ich, dass sie Angst vor mir haben oder – genauer – dass sie Angst um mich haben. Ich hebe die Hände vors Gesicht.
Dad räuspert sich.
»Du bist hierhergekommen, weil du in Schwierigkeiten warst. Ich bin zu wenig dagewesen. Ich will genauer wissen, wo du bist und was du machst. Ich möchte, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen.«
Tränen rollen meine Wangen runter. Jetzt will er ein Vollservicedad sein. Wie konnte ich nur so ein Glück haben?
»Du traust mir nicht«, sage ich beschämt und wische mir das Gesicht ab. Offenbar weine ich jetzt andauernd.
Keiner der beiden sagt ein Wort.
Mein Dad nimmt die Gabel und spießt einen Bissen von Zaras Essen auf, spricht beim Kauen. »Nimm deine Kamera endlich wieder in die Hand und fang mit einem Fotoprojekt an. Mach dir einen Plan, arbeite mit jemandem zusammen. Ich will nicht streng sein, aber …«
»Ich arbeite doch schon in der Bibliothek.« Meine Kraft ist weg. Ich bin die Einzige, die hier Streit macht.
»Ich will nur, dass du weniger isoliert bist. Mach was. Tu was, damit du nicht in deinen eigenen Gedanken herumdriftest.«
»Wenn das jetzt alles war, fahr ich nach Hause. Ich geh laufen«, sage ich leise.
Das Gesicht von meinem Dad bleibt ausdruckslos. Eine Weile sagt er nichts.
»Was? Jetzt soll ich nicht mehr laufen? Darf ich das nicht?«
Ich stakse rüber zur Theke, wo ich meine Schlüssel abgelegt habe, schnappe sie mir wütend. Dann drehe ich mich zu ihnen um.
»Ich hab nicht vor, mich umzubringen«, sage ich. »Wenn es so wäre, würde ich jetzt nicht hier stehen.« Ich zittere, so wütend bin ich.
»Beinahe hättest du jetzt nicht hier gestanden«, sagt mein Dad leise.
Er hat gewonnen.
»Viel Spaß beim Laufen.«
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