In alter Freundschaft - Kriminalroman
plüschigen Lustwiese sah ich kühles Hightech in Weiß und Chrom. Hajo Gries saß auf einem Drehsessel und manipulierte an einem Schaltpult herum. Die Orgie kam aus der Konserve, ich hatte ein Videostudio entdeckt. Mein Standpunkt erlaubte zwar keinen Ausblick auf den Bildschirm, aber nach der teuren Ausstattung und der Tonspur zu urteilen, handelte es sich um ein Studio zur Herstellung von Pornos. Vermutlich war ich auf einen Nebenerwerb von Carlo Ponti gestoßen, denn Hajo Gries traute ich weder genügend Startkapital noch Unternehmergeist zu.
Etwas enttäuscht zog ich mich zurück. Zwischenzeitlich hatte ich auf größere Sensationen gehofft. Seltsam war die Sache allerdings schon. Warum versteckten Ponti und Gries ihr Studio in dieser verlassenen Gegend? Die Herstellung von Pornos war schließlich nicht strafbar. Wahrscheinlich lief das Ganze an der Steuer vorbei.
Ein Rest unbefriedigter Neugierde trieb mich, die Kartons im Erdgeschoss in Augenschein zu nehmen. Sie enthielten, was ich vermutete: Videokassetten. Und die Aufschriften entpuppten sich als Datumsangaben. Aus einem Karton mit neuerem Datum fischte ich zwei Kassetten. Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause.
Mithilfe einer zweiten Aspirintablette und eines heißen Ölbades schaffte ich es, ein paar Stunden Schlaf zu finden. Trotzdem war das Aufstehen am nächsten Mittag keine Freude. Unlustig mummelte ich an einem steinharten Biobrot und flößte mir einen halben Liter Kaffee ein. Erst nach der Lektüre der Sportseiten in der Tageszeitung fielen mir die Kassetten ein. Da ich sowieso nichts Besseres zu tun hatte, schob ich eine in den Videorekorder.
Es war noch unbearbeitetes Material. Ein etwas wackeliges Bild zeigte ein leeres Zimmer mit einem riesigen Bett in der Mitte. Der Kameramann zoomte auf das Bett und wieder zurück. Als Nächstes stapfte ein nackter Mann mit dichter Brustbehaarung und Fettring in Bauchhöhe durchs Bild. Er machte sich an seinem Glied zu schaffen, bis es die vorgeschriebene Größe erreicht hatte. »Kann losgehen!«, sagte er in Richtung Kamera. Hinter dem Kameramann stand wohl der Regisseur des Streifens. »Hol mal die Kleine!«, sagte eine zweite Stimme.
Kurz darauf fiel mir die Kinnlade herunter. Nicht wegen Claudia Kummer, die in voller Lebensgröße vor der Kamera stand. Die Kummer war nämlich nicht die Hauptdarstellerin des Films, sondern das etwa vierzehnjährige Mädchen, das sie hinter sich herzog. »Stell dich nicht so an! Du hast das doch schon öfter gemacht«, sagte die Kummer zu dem Mädchen. Und es stellte sich nicht an. Der Gorilla machte sich über das Mädchen her, bis eine Stimme »Stopp!« brüllte. Dann wurden zwei weitere Mädchen ins Zimmer geführt und der Gorilla verrichtete weiter seine trostlose Arbeit. Das alles geschah ziemlich lautlos, das Stöhnen und Keuchen wurde wohl im Studio synchronisiert. Schließlich verlagerte sich das Geschehen aus dem Bett auf eine Wiese. Außer dem Ambiente änderte sich an der Handlung nichts. »Das Band ist gleich abgelaufen«, sagte der Kameramann, und die zweite Stimme rief wieder »Stopp!«. Bevor es dunkel wurde, machte die Kamera einen Schwenk. Zwischen Bäumen sah ich ein Haus.
Nachdem ich mehrere Minuten über das Gesehene nachgedacht hatte, griff ich zum Telefon. Ich sprach mit Herbert Emmerling, einem ambitionierten Jungfilmer, der es bislang noch nicht zu dem erhofften abendfüllenden Spielfilm gebracht hat, sondern sich mit Auftragsarbeiten für das regionale WDR-Studio über Wasser hält. Ich lernte ihn kennen, als er einen Beitrag über mein Kaufhaus drehte. Zusammen mit anderen ambitionierten Jungfilmern, die regelmäßig Drehbuchexposés einreichten, die anschließend von den Auswahlgremien des Landes abgelehnt wurden, hatte er eine Film- und Videowerkstatt eingerichtet, in der sie ihre selbstfinanzierten Kurzfilme schnitten. Ich überredete Herbert, sich mit mir im Stellwerk zu treffen.
Das Stellwerk ist ein munter herausgeputztes Fachwerkgebäude, das schon längst nicht mehr dem Zweck dient, der ihm einst den Namen gab. Nach etlichen Kämpfen mit einer örtlichen Bürgerinitiative, die daraus ein Bürgerzentrum machen wollte, hatte es die Stadt Münster zum Kulturzentrum erklärt und einigen Künstlergruppen überlassen, die dann in harter Eigenarbeit die Innengestaltung übernehmen durften. Der Filmverein, dem Herbert angehörte, bekam die oberste Etage.
Als ich auftauchte, fummelte Herbert gerade an einer Maschine herum.
»Na,
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