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In angenehmer Gesellschaft

In angenehmer Gesellschaft

Titel: In angenehmer Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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ermordeter Mann ist gefunden worden«, sagte Toy, »Eine Frau ist ermordet gefunden worden.« Die lokalen Neuigkeiten.
    »Schrecklich!« sagte ich.
    »Haben es vielleicht verdient«, sagte Toy. Kommentar der Redaktion.
    Er zog sich schweigend zurück, nachdem er mein Wissen auf den neuesten Stand gebracht hatte, und ich trank die erste Tasse Kaffee im Sitzen, die zweite, während ich im Wohnzimmer umherschlenderte.
    Unser Haus steht hoch auf einem Hügel über der Bay von San Franzisko, und vom Wohnzimmer aus haben wir eine herrliche Aussicht auf die Golden Gate-Brücke und die Berge von Marin Conty jenseits der Bucht — diese Aussicht allein genügt, um meine Seele zu läutern. An diesem Morgen lag alles in weißen Nebel gehüllt, und doch — selbst verhüllt war es lieblich. Die Aussicht war zur Vision geworden, und ich betrachtete sie lange.
    Dann mußten meine Bilder inspiziert werden, nachgesehen, was sich über Nacht an ihnen verändert hatte — mein Braque und mein Pissarro und mein Soutine, die ich in Paris gekauft, und das Portrait von Jessica, das Augustus John in seinem Londoner Atelier gemalt hatte, als sie zwei Jahre alt war. Sie waren alle ein bißchen leuchtender geworden, seit ich sie vor sechs oder sieben Stunden zum letztenmal gesehen hatte; sie hatten alle ein bißchen mehr Patina angesetzt.
    Dann mußte ich mehrere Briefe noch einmal lesen, mehrere Listen prüfen und meine Pflanzen besuchen. Phoenix roebelinii, Dieffenbachia picta, Philodredron erubescens — Himmel, wie anspruchsvoll sie sind! Zuneigung, Zuneigung, Zuneigung verlangen sie, und wenn ich mich einen Tag lang nicht um sie kümmere, schmollen sie. Ich ging mit meiner dritten Tasse Kaffee umher und besuchte jede einzelne, und dann kam Jessica die Treppe herunter geflogen, mit den knappsten weißen Shorts und dem dünnsten weißen Hemd, und sah irgendwie aus, als ob sie vergessen habe, sich anzuziehen.
    »Mutter!« rief sie, »du bist schon auf!«
    »Ja, Liebes, ich bin schon auf.«
    »Hast du auch nicht schlafen können?«
    »Ich habe sehr gut geschlafen, Jessica. Du nicht?«
    »Ich habe kein Auge zugetan.«
    Ihre Augen waren blau und klar. Ihre Haut war rosig und klar. Ihre Zunge war sicher nicht belegt. Es gab keinen Grund zur Sorge. »Was hat dich denn wach gehalten?« fragte ich.
    »Oh, tausenderlei!«
    »Zum Beispiel?«
    »Mozart.«
    »Hast du Mozart gesagt?«
    »Ja. Ich mache mir eine Menge Kopfschmerzen um ihn. Auch um Schubert. Ach, Mutter, wie schrecklich — so talentiert, so ein Genie und so jung zu sterben!«
    »Was für Sorgen hast du sonst noch?«
    »Um dich.«
    »So — wirklich?«
    »Mutter, sei nicht so gleichgültig. Wer soll sich um dich kümmern, wenn du krank wirst? Alles mögliche kann passieren, und wo bin ich dann? Tausend Meilen weit weg von hier!«
    »Sei vernünftig, Jessica! Ich habe einen Mann, wie du weißt. Und da ist Toy — praktisch hat er mich durch meine Röteln gepflegt. Und Dr. Freed wohnt gleich um die Ecke. Außerdem habe ich nicht die geringste Absicht, krank zu werden, für lange Zeit nicht.«
    Toy brachte ein großes Glas Orangensaft für sie und eine frische Kanne für mich. Sie sagte ihm auf chinesisch >Guten Morgen<; er antwortete chinesisch und trottete schmunzelnd davon. Sie sagte: »Auch darum mache ich mir Sorgen — wie soll ich den Rest meines Lebens verbringen, ohne daß Toy sich um mich kümmert?«
    »Roger hat auf der Ranch einen chinesischen Koch, Chang.«
    »Nicht Chang«, sagte Jessica. »Wong. Du darfst ihn nie Chang nennen.«
    »Verzeihung!«
    »Er ist süß«, sagte sie. »Ein Schatz! Aber man darf ihn nicht mit Toy vergleichen. Er ist ganz anders.«
    »Irgendwie wirst du es schon schaffen, Liebes.«
    »Es ist phantastisch, Mutter!« sagte sie heftig und fing an hin und her zu laufen. »Sechs Tage noch, und alles ist anders. Alles! Ist dir das klar?«
    »Ja«, sagte ich. »Es ist mir klar.«
    »Sechs Tage«, sagte sie, »und Schnapp!!« Sie ahmte das Geräusch mit den Fingern nach. »Ich gehe aus diesem Haus in ein fremdes, zu einem fremden Mann. Mit einem fremden Namen. Henderson! Kannst du mich dir so vorstellen — Mrs. Henderson? Wie kann ich Mrs. Henderson sein? Ich bin Jessica Poole! Es ist unmöglich, Mutter! Es will mir nicht in den Kopf!«
    »Du hast es gewollt, Liebling!«
    »Ich weiß. Aber trotzdem!«
    »Und tun genau zu sein: du kommst nicht in ein fremdes Haus. Du bist oft genug dort gewesen.«
    »Aber nur als Gast, Mutter. Zu Besuch. Nicht als ständiger

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