Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In angenehmer Gesellschaft

In angenehmer Gesellschaft

Titel: In angenehmer Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
Vom Netzwerk:
eine, und unvermeidlicherweise kreuzten andere Frauen seine Bahn.
    Also trennten wir uns, als Jessica fünf Jahre alt war. Ich hatte keinen Grund, mich zu beklagen. Alles war gewesen, wie er es versprochen hatte, herrlich und aufregend und voller Lachen, und nun war es eben zu Ende. Aber als er mich verließ, um seine großen Abenteuer fortzusetzen, verließ er auch Jessica, sein und mein einziges Kind, und das konnte ich ihm nicht verzeihen. Ich ging mit Jessica nach San Franzisko zurück und heiratete nach einiger Zeit Jim Dugherty, den nettesten und gütigsten Mann der Welt, und dachte, Pogo habe den Kreis meines Lebens für immer verlassen.
    Ich hatte mich geirrt.

2

    Ich hätte wissen können, daß er zurückkommen würde. Und hätte wissen können, daß er kommen würde, wenn man ihn am wenigsten brauchte. Und ich hätte völlig sicher sein können, daß er genau in dem Augenblick kommen würde, wenn Jessica ihn am wenigsten brauchte. Es gehörte zu seinem Genie — dieser empfindliche Sinn für den Augenblick, sein feines Empfinden für die jeweilige Lage. Es hatte nie versagt.
    Ich wurde früh wach an jenem Morgen, ein Viertel vor sechs ungefähr. Im allgemeinen stehe ich ein Viertel nach sechs auf, und wenn ich jetzt zurückblicke, müßte ich wahrscheinlich sagen, ich konnte nicht schlafen, weil ich eine Ahnung von kommendem Unheil hatte und weil meine Seele von namenloser Furcht erfüllt war. Aber es würde nicht stimmen. Ich fühlte mich wundervoll beim Aufwachen. Ich war froh, eine halbe Stunde gewonnen zu haben. Vor anderen Leuten klage ich über den Zwang, der mich bei der ersten Morgendämmerung aus dem Bett treibt. Was würde ich nicht dafür geben — stöhnte ich—, wenn ich wieder einnicken und warm und gemütlich bis acht oder neun schlafen, wenn ich die Morgenzeitungen und das Frühstück ans Bett gebracht bekommen könnte.
    In Wirklichkeit verabscheue ich es, im Bett zu bleiben. Ich liebe die Stille des frühen Morgens und das Hellerwerden des grauen Himmels. Ich liebe die Einsamkeit dieser Stunden und die Gelegenheit herumzupusseln. Ah! Es ist himmlisch, herumzupusseln! Himmlisch, hunderterlei Dinge anzufangen und sie bis zum nächsten Morgen wieder liegenzulassen! Neunzehn Jahre lang habe ich meine Morgen verpusselt, immer, seit ich Biddeford Poole verlassen habe, bis auf die wenigen Tage, an denen ich die Röteln hatte. Er war ein intelligenter Mann und begriff es doch nicht, als ich mich darüber beklagte, daß ich in der Wüste Gobi nicht herumpusseln konnte.
    Jim schlief noch, als ich aus dem Bett schlüpfte, und schnarchte gutmütig leise vor sich hin. Sein Schnurrbart neigt dazu, beim Schnarchen zu vibrieren — ein faszinierender Anblick. Während ich mir den Morgenrock anzog, beobachtete ich es und ihn zärtlich. Ein lieber Mann, der bequemste Mann der Welt und obendrein ein Bankier. Bis ich ihn kennenlernte, war mir nie die Idee gekommen, daß man an einen Bankier zärtlich denken könne.
    Als ich nach unten kam, hatte Toy schon eine Tasse Kaffee für mich fertig. Er ist Amerikaner chinesischer Abstammung. Ich habe keine Ahnung, wie alt er ist, und bezweifle, daß er selbst sich die Mühe gegeben hat, etwas so Unwichtiges wie den Ablauf der Zeit festzuhalten. Ich glaube, er ist zwischen Vierzig und Sechzig, vielleicht auch zwischen Dreißig und Siebzig. Sein Wortschatz ist vielleicht begrenzt, doch auserwählt. Er sagt, was gesagt werden muß, auf die einfachste und unmißverständlichste Art, und damit ist es gut. Meiner Theorie nach ist Toy ein Absolvent der Oxford-Universität, ein Gentleman und Gelehrter und besonders eine Autorität in bezug auf gregorianische Gesänge. Jim bestreitet es und versichert, daß Toy nie über die Stadtgrenzen von San Franzisko hinausgekommen sei, aber ich glaube, ich weiß es besser. Oft habe ich ihn morgens seltsame Lieder singen hören, gregorianische Gesänge, die er ins Chinesische übertragen hat. Überdies besteht zwischen Toy und mir eine vollkommene Gemeinschaft. Eine Verwandtschaft, wie sie im Leben einer Frau selten vorkommt. Wir brauchen kaum miteinander zu sprechen. Wir verstehen uns auch so.
    »Guten Morgen, Toy«, sagte ich.
    »Guten Morgen«, sagte Toy und lächelte zur Begrüßung.
    »Es wird ein herrlicher Tag heute.«
    Er nickte.
    »Der Kaffee riecht wundervoll.«
    Er neigte den Kopf.
    »Etwas Neues heute?« fragte ich.
    »Russen«, sagte Toy, indem er die ganze Weltpolitik in einem Wort zusammenfaßte.
    »Das ist alles?«
    »Ein

Weitere Kostenlose Bücher