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In angenehmer Gesellschaft

In angenehmer Gesellschaft

Titel: In angenehmer Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Glemser
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schnappte nach Luft.
    »Oh, Vater!« rief Jessica. »Willst du fahren? Wunderbar!«
    Ich sagte: »Es ist besser, wenn Jessica fährt, Pogo. Sie fährt glänzend und kennt Jims Wagen.«
    »Sicher«, sagte Pogo, »aber heute abend ist sie Aschenbrödel, für ihren Ball geschmückt, und ich habe die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie sicher hinkommt.«
    »Ich freue mich so darauf«, sagte Jessica, »weil ich immer schon sehen wollte, wie du fährst. Später mußt du mich mal in einem deiner Rennwagen fahren lassen.«
    »Nichts könnte mir mehr Freude machen.«
    »Ich habe ein Bild von dir. Als du vor drei Jahren mit deinem Ferrari im Grand Prix...«
    »Um Himmels willen, laß uns gehen!« unterbrach ich sie.
    Wir stiegen in den glänzend schwarzen Lincoln, und ich werde nie das kummervolle, tragische Gesicht vergessen, das Jim machte, als wir abfuhren. Im Laufe weniger Stunden hatte ein eben angekommener Fremder auf die lässigste Art fast alles in Besitz genommen, was er besaß: sein Heim und besonders sein Arbeitszimmer, das junge Mädchen, das er mit Liebe und Güte fünfzehn Jahre lang aufgezogen hatte, und nun seinen Wagen. Für seinen Wagen brachte er sich um. Nie würde ich begreifen, was er ihm bedeutete. Er hegte und pflegte ihn so zärtlich, wie ich meine Bilder und Zimmerpflanzen hegte und pflegte. Ich konnte nichts anderes darin erblicken als ein ziemlich extravagantes Transportmittel — für ihn dagegen schien es ein lebendes Wesen zu sein. Als ich ihn vor dem Haus zum Abschied küßte, beobachtete er mit starrem Blick, wie Pogo sich hinter das Lenkrad setzte.
    »Wir wollen nicht zu spät kommen, Liebling«, sagte ich und wollte hinzufügen: »Ich liebe dich, Jim, dich!«, bekam es jedoch nicht heraus. Wahrscheinlich hätte er es gar nicht gehört. Er war wie Hiob ausgeraubt worden und bestürzt. Seine ganze Welt war in Scherben gegangen.
    Jessica saß zwischen uns. Mit vielen Ohs und Ahs bewunderte sie alles, was Pogo tat. Er brauchte nur zu hupen oder bei rotem Licht zu halten, und sie geriet in Verzückung über sein brillantes Fahren, seinen Schwung, sein Genie. Wenn Jim mit ihr durch die Stadt fuhr, äußerte sie kein Wort darüber; seine Geschicklichkeit war ihr selbstverständlich. Jetzt aber schien sie vor Entzücken in die Luft gehen zu wollen. Seht euch meinen Vater an! Seht, wie er dieses große mächtige Ungeheuer beherrscht! Wie er diesen Fußgänger verschont hat! Wie er diesen Berg hinaufgefegt ist! Mein eigner, richtiger Vater! Seht! Seht! Seht!
    Mir wurde bitter und traurig zumute. Ihr Entzücken war begreiflich. Ihre wildesten Träume hatten sich verwirklicht. Pogo war zu ihr gekommen! Dabei — dachte ich — hätten wir drei während all dieser Jahre immer so fahren, hätte Jessica die Gesellschaft ihres Vaters genießen können. Immer hätten wir zusammen fahren oder skilaufen oder uns auf einer honigduftenden Mittelmeer-Insel sonnen oder nach Neapel oder Borneo, Cap Ferrat oder Paris oder London fliegen können — wir alle drei. Ihre Tage wären von Abenteuern und Wundem erfüllt gewesen; sie hätte mit dem Vater, den sie anbetete, vierhändig gespielt, die Gedichte Shelleys von ihm gelernt, im Meer mit ihm geschwommen, Berge mit ihm erstiegen und die Ruinen von Karthago mit ihm besichtigt. Zuviel war ihr grausam ungerecht vorenthalten worden. Jims Liebe und Güte waren kein Ersatz dafür.
    Ich machte Pogo innerlich Vorwürfe wegen seiner Selbstsucht, seiner krankhaften Unruhe, seiner tiefen Gleichgültigkeit gegen die Gefühle anderer. Mußte ich auch mir selbst etwas vorwerfen? Daß ich Ruhe und Beständigkeit und unveränderliche Liebe ersehnt hatte. Die schlichte Liebe, die Jim mir entgegenbrachte. Aber Vorwürfe oder nicht—Jessica war um etwas unaussprechlich Kostbares gebracht worden.
    Auf der Party war er ein überwältigender Erfolg, mein alter Pogo. Es war sein Metier, auf jeder Party ein überwältigender Erfolg zu sein — er hatte es fast ein halbes Jahrhundert lang getan. Für Jessica war es ein ganz neues Schauspiel, und sie geriet darüber ebenso in Entzücken wie über sein Fahren. Er war so heiter, so ernst, so höflich, so elegant, so gut aussehend, so liebenswürdig und tanzte — ich muß es zugeben — ganz wundervoll. Die jungen Männer waren erstaunt: nie hatten sie so viele männliche Eigenschaften in einem Manne vereinigt gesehen. Die jungen Mädchen waren hingerissen, die älteren Frauen atemlos.
    Wir — die älteren Frauen — saßen um die Tanzfläche

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