In besten Kreisen
Vortrag hielt und dabei mit seinem schon total überfüllten Terminkalender herumwedelte. Ich dachte, er würde William dazu verdonnern, hundertmal ›Ich fasse nie mehr eine Waffe an‹ zu schreiben.« »Ich bin eher diejenige, die so etwas zigmal schreiben sollte«, sagte Kate. »Ich habe Gewehre immer schon verabscheut und gehaßt. Aber ich wollte nicht gegen ein männliches Vorrecht verstoßen. Außerdem habe ich ›Hedda Gabler‹ vielleicht in einem allzu beeinflußbaren Alter gelesen. Geben wir es zu: Das moderne Freud-Kauderwelsch hat uns eine solche Angst davor eingejagt, als penisneidische Frauen zu erscheinen, daß wir es nicht einmal mehr wagen, einem Jungen ein Gewehr wegzunehmen. Und dazu möchte ich jetzt kein Gekicher von Ihnen hören, Emmet Crawford.« »Ich habe keinen Mucks von mir gegeben, Verehrteste. Ich bin so stolz, daß ich mit den Erwachsenen zusammen Cocktails trinken darf.« »Nun ja, das ist heute ein besonderer Tag.« »Darf ich etwas zu meinem Tomatensaft haben, Tante Kate?« fragte Leo, erfreut über den Bruch mit den Gewohnheiten, der ihm, William und Emmet die Teilnahme an der Cocktailstunde erlaubte.
»Ich werde dir etwas in deinen Tomatensaft schütten, das du gar nicht magst«, sagte Kate bösartig.
»Mr. Artifoni sagt…« »Es interessiert mich nicht, ob Mr. Artifoni seinen Schützlingen Gin in die Gurgeln schüttet, du bekommst nichts in deinen Tomatensaft.« »Tante Kate! Ich meinte, etwas zu essen. Mr. Artifoni sagte, kein guter Sportler trinkt oder raucht oder…« Leo legte eine Pause ein und nahm sich eine Handvoll Nüsse.
»… oder was, bei allen Heiligen?« fragte Emmet.
»… oder ist noch nach zehn Uhr auf«, vollendete Leo. »Gute Sportler sehen nie die Mitternachtsshow.« »Was ist sonst noch bei Gericht passiert?« fragte Grace.
»Ich verschone euch mit den technischen Einzelheiten und der Schilderung der langen, öden Stunden, der niederdrückenden Atmosphäre. William wurde unter Anklage gestellt und gegen Hinterlegung einer Kaution freigelassen.« Reed machte eine Pause, während Emmet auf ein Zeichen von Kate Leo aus dem Zimmer brachte.
William und Lina waren bereits gegangen. »Hoffen wir nur«, fuhr Reed fort, »daß William nun nicht den Lord Jim markiert und in die Tropen flüchtet, weil ich so viel Geld eigentlich nicht gern verlieren würde. Ich muß sagen, Eveline war eine große Hilfe in Zeiten der Not. Sie hat sogar mich aufgemuntert, und das war ja kaum ihre Pflicht.« »Was passiert, wenn man William des Mordes für schuldig befindet, welchen Grades auch immer?« »Wer weiß? Wahrscheinlich eine Verurteilung auf Bewährung.
Hoffen wir, daß es gar nicht so weit kommt.« »Bleibt die schlichte Tatsache, daß wir den wirklichen Mörder finden müssen«, sagte Kate.
»Kate«, sagte Reed. »Ich kann es nicht mit ansehen, wenn du jetzt irgendwelche Szenarien entwickelst, die sogar Alfred Hitchcock in den Schatten stellen. Sehen wir der Tatsache ins Auge: Es ist fast unmöglich herauszubekommen, wer die Kugel in den Lauf geschoben hat. Wir können höchstens einen ziemlichen Wirbel veranstalten, und man wird uns wahrscheinlich von hier vergraulen. Nicht, daß mir das etwas ausmachte.« »Reed, ob du es glaubst oder nicht: Ich habe nicht die geringste Ahnung davon, wie man überhaupt eine Kugel in ein Gewehr praktiziert. Vielleicht gibt es noch andere mit ähnlichen Alibis, dann könnten wir durch Ausschließen…« »… es so weit bringen, daß jeder in Berkshire County mit seinem Gewehr auf deinen Kopf zielt. Kate, ich bitte dich, sei vernünftig.« »Unternimmt die Polizei denn nichts mehr?« »Alles, wozu diese begriffsstutzigen Beamten fähig sind. Aber du mußt verstehen, daß die Polizei, solange sie nicht mit Beweisen geradezu überschüttet wird, von der Annahme ausgeht, daß derjenige, der abgedrückt hat, auch der Mörder ist. Die wird sicher nicht wie einer deiner Lieblingsdetektive herumlaufen und irgendeinen esoterischen Hokuspokus zusammendenken, der niemals einer Prüfung vor Gericht standhält (und den Angeklagten in den Selbstmord treibt), etwa nach dem Schema: Der und der muß es getan haben, weil das Gewehr auf wundersame Weise nur schießt, wenn man an drei aufeinanderfolgenden Regennächten darüber das Vaterunser in Sanskrit murmelt. Solltest du mir unbedingt noch einen Martini aufdrängen wollen, dann würde ich ihn wohl dankbar entgegennehmen. Da wir gerade von Dank reden: Du hast mich noch gar nicht gefragt, was für ein
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