In besten Kreisen
Und die Tatsache, daß er meint, aus finanziellen Gründen nicht heiraten zu können. Ich glaube, es macht ihm nichts aus, daß ich den Doktor schon gemacht habe und er noch nicht, aber es macht ihm sehr wohl etwas aus, daß er mit seiner Dissertation nicht weiterkommt, und wenn er sich daran setzt, gerät er in Panik, weil ihm das Thema nicht besonders interessant erscheint.« »In viktorianischer Zeit, als christliche Zucht angesagt war, hätten Leute wie Carlyle ihm körperliche Arbeit und kalte Bäder verordnet.« »Genau Williams Theorie. Er plagt sich mit Hopkins’ Innenansichten ab und schwimmt lange und viel im kalten Meer, wenn er daheim ist. Ich habe keinerlei viktorianische Ansichten. Gottseidank.
Wenn ein Mann so viel Energie hat, daß er halbwegs bis nach Europa schwimmen will, warum nutzt er diese Energie nicht besser und geht mit jemandem ins Bett? Was hat er hier so weit vom Meer entfernt getan, um entsprechend zu sublimieren, außer, daß er schießen gespielt hat?« »Er spielt mit Leo, klettert auf Berge, schwimmt im Pool. Er hat sogar ein-oder zweimal mit mir Tennis gespielt. Lina, gibt es einen Grund, warum es unbedingt William sein muß? Könntet ihr denn nicht, um mal den alten Gemeinplatz zu zitieren, Freunde bleiben und euer Liebesleben anderswo führen?« »Ich könnte das natürlich. Wie Sie zu meiner Schande wissen, habe ich sogar daran gedacht, mich verführen oder einfach nehmen zu lassen. Aber am Ende ist es immer wieder William, verdammt nochmal. Ich meine, wir sind einfach in so vielen Dingen einig. Und in all den Jahren, die wir uns nun kennen, hat auch er nie eine andere gefunden. Und eines hat William: Er steht zu seinen Prinzipien. Ich meine, er ist nicht einer von denen mit unschuldigen Mädchen auf der einen Seite und wollüstigen Frauen auf der anderen Seite, wie es das so oft bei religiös ausgerichteten jungen Männern gibt. Ich meine, er glaubt wirklich an Keuschheit.« »Wenn das so ist, warum hören Sie dann nicht auf zu grübeln und wenden sich anderen Dingen zu – schreiben vielleicht ein Buch oder machen eine Weltreise, wenn Ihnen das besser gefällt. Sie sind wunderbar frei, wissen Sie das? Macht es Ihnen Angst, das Ganze mal von dieser Seite zu betrachten?« »Ich bin nicht so unabhängig wie Sie, Kate. Ich unternehme gern Dinge mit Menschen, die ich kenne.« »Dann hören Sie auf, sich mit fremden Männern ins Bett zu träumen – der kraftvolle Italiener à la Mastroianni, dem Sie in Neapel oder an der Riviera nachts begegnen.« »Das geht unter die Gürtellinie.« »Schauen Sie, Lina. Das Leben läuft nicht über vor Möglichkeiten. Für Frauen, die nicht selbstverständlich mit Mann und Kindern in ein Häuschen in der Vorstadt ziehen und dann in Nachbarschaftsaktivitäten aufgehen, gibt es nur drei mögliche Arten zu leben. Man kann heiraten und weiter seinem Beruf nachgehen, sogar mit Kindern. Die Zahl derer, die so lebt, ist im Steigen. Oder man heiratet nicht, stellt sich eindeutig vor die Wahl und entscheidet sich für die Arbeit. Dieser Typ gehört meist zur älteren Generation, zum Beispiel Grace Knole. Die Zahl ist im Abnehmen. Oder man gehört zur dritten, weniger bekannten Gruppe, die die Liebe des Mannes sucht und genießt, gewöhnlich mehrere Männer im Leben hat und die Rolle der Hausfrau von sich weist. Es gab viele Französinnen von dieser Sorte, die regelrecht dahinwelkten, wenn sie gezwungen waren, auf ihren Schlössern zu leben.« »Sie denken an George Sand oder Madame de Staël?« »Wenn Sie auf recht extremen Fällen bestehen. Oder Madame du Châtelet – kennen Sie Nancy Milfords Buch über sie? Oder, in diesem Jahrhundert, Doris Lessing, Simone de Beauvoir, Colette. Wie Doris Lessing es einmal in einem Interview ausgedrückt hat: Heiraten sei etwas, wozu sie nicht geschaffen sei.« »Gehören Sie zur dritten Gruppe?« »Es scheint so. Gewiß entspricht die Führung eines Hauses in diesem Sommer nicht meinem Temperament. Aber ich wollte eigentlich sagen, daß Sie einer der beiden ersten Gruppen angehören, wahrscheinlich der, die heiratet und ihren Beruf weiter ausübt. Sie wären, offen gesagt, sonst mit Ende zwanzig keine Jungfrau mehr.
Aber wer weiß? Nur machen Sie jetzt Ihren kleinen Mund nicht auf, um mir Fragen zu stellen, weil ich nicht vorhabe, sie zu beantworten.
Warum vergessen Sie nicht einmal Ihre Träume von William auf der einen und wilden Nächten mit unbekannten Liebhabern voll unendlicher Erfahrung auf der anderen Seite
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