In Blut geschrieben
Blickfeld. Er schubste sie ohne Vorwarnung, so dass sie fast auf den Steinboden gefallen wäre.
»Vorwärts, los! Wenn du wenigstens essen würdest! Dann wärst du nicht in diesem Zustand, dumme Kuh …«
Seine Stimme klang unverändert grausam.
Er hörte auf zu schimpfen und schaute auf die Fackel.
»Die hält ja noch immer nicht, Mist«, seufzte er. »He, warte auf mich, hier.«
Die Frau blieb vor Carlys Tür stehen, während sich das Ungeheuer vorbeugte, um den Knochen der Fackel an der Wand zu fixieren.
Das kleine Mädchen streichelte mit den Blicken die zerschundenen Hände der Frau. Sie stellte sich vor, wie sich diese Hände in ihren Haaren anfühlen würden, die Zärtlichkeit, die ihr diese schwieligen Finger schenken könnten.
Die Frau spürte den Blick. Sie wandte den Kopf zur Tür, zu diesem kleinen Auge, das sie nicht losließ. Sofort schaute sie nach dem Ungeheuer, und da es ihr gerade den Rücken zuwandte, nutzte sie den Moment, trat zwei Schritte näher und kniete sich vor die Ritze.
Als sie Carly sah, begann ihr Kinn zu zittern, ihre Augen füllten sich mit unsäglichem Schmerz.
»Wie … wie heißt du?«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme.
Das kleine Auge starrte sie noch immer an, doch es kam keine Antwort. Die Frau steckte den Zeigefinger in ein Astloch der Tür.
»Mein Name ist Rachel.«
Sie konnte die überwältigenden Gefühle kaum unter Kontrolle halten, bemühte sich jedoch nach Kräften, sie dem Kind nicht zu zeigen.
»Sag mir, wie du heißt«, murmelte sie noch einmal.
Noch immer kein Wort. Stattdessen fühlte Rachel eine kleine Hand, die nach ihrem Finger griff. Ihre Kehle schnürte sich zu, und in einem unterdrückten Schluchzen hob und senkte sich ihre Brust. Sie hielt es nicht mehr aus, sie glaubte weinen zu müssen und nie wieder aufhören zu können. Was machte ein Kind hier? Niemand durfte einen solchen Blick bei einem kleinen Mädchen auslösen.
Rachel steckte den anderen Zeigefinger in die Ritze, um Carlys Wange zu streicheln.
Der Schmerz ließ sie aufheulen.
Ihr ganzer Schädel brannte, sie fiel nach hinten und rollte bis zur gegenüberliegenden Wand.
Das Ungeheuer ließ ihre Haare los und versetzte ihr einen Tritt in die Brüste.
Ein rauer, von Schmerz zerfressener Schrei entfuhr ihr.
Das Ungeheuer wandte sich zu Carly um, mit zwei Schritten war er bei ihr und näherte den Mund mit den grauen Zähnen und die wilden Augen der Öffnung in der Tür.
»Und du, geh nach hinten. Vergiss das hier, du siehst sie sowieso nicht wieder, nie wieder.«
Carly wich zitternd bis zu ihrem Lager zurück, wickelte sich in die Decken ein und schloss die Augen.
Wie hatte sie nur so dumm sein können, zu hoffen …
42
Brolin wachte auf, da sein neuer Gefährte ausgiebig seinen Arm leckte. Er hatte ein paar zusätzliche Scheine hinblättern müssen, um den Hund mit in die Hotelsuite nehmen zu dürfen. Geld spielte keine Rolle. Die Familien, für die er arbeitete, gehörten allen sozialen Schichten an, manche bezahlten fast nichts, andere fanden es ganz normal, dem Privatdetektiv eine fünfstellige Prämie anzubieten, wenn er ihnen ihren ausgerissenen Sprössling unversehrt zurückbrachte.
Als er aus der Dusche kam, saß der Hund auf der Schwelle zum Badezimmer und wedelte mit dem Schwanz.
»Du bekommst dein Bad, sobald ich ein bisschen Zeit und Muße habe. Außerdem müssen wir dir einen Namen geben. Hast du vielleicht einen Vorschlag?«
Das Tier – eine Mischung aus Labrador und Wolfshund mit Schlappohren – leckte sich die Lefzen.
Brolin bestellte beim Zimmerservice ein Frühstück und einen großen Teller Speck. Er legte dem Hund die Hand auf den Kopf, was der sich gern gefallen ließ.
»Du und ich, wir sind uns ähnlicher, als du glaubst, mein Freund …«
Er tätschelte seinen Rücken.
»Ab heute heißt du Saphir.«
Brolin verspürte einen kleinen Stich im Herzen, denn es war seine liebste Farbe. Eine ferne Erinnerung, ein Blick, der Himmel, das Meer …
Er verschlang sein Frühstück in wenigen Minuten und stellte Saphir den Teller mit Speck hin.
Er zog seine Jeans und seinen Lieblingspullover an – schwarz und grob gestrickt – und setzte sich an den Tisch. Das morgendliche Grau fiel in den Innenhof und bahnte sich einen Weg auf den Balkon. Die Schatten, die das Leben des Privatdetektivs umgaben, blieben allerdings undurchdringlich.
Er legte das Blatt Papier, das er im Lagerhaus gefunden hatte, vor sich hin.
»mit Lucas … Verteilung und Bob
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