In Blut geschrieben
und ließ sich nicht mehr so leicht verwirren. Trotzdem hatte Annabel den Verdacht, dass er seinen Charme zu seinem Vorteil einsetzte.
»Darauf komme ich gleich. Was wissen Sie über diese Leichen?«
Annabel seufzte.
»Okay. Nicht sehr viel, das habe ich Ihnen schon heute Morgen gesagt. Es sind die sterblichen Überreste von etwa sechzig Menschen, Männer, Frauen und Kinder. Sie wurden schon als Skelette dorthin gebracht. Nach Aussage des Gerichtsmediziners war wenig oder gar kein Fleisch an den Knochen. Und gerade habe ich noch erfahren, dass bei manchen das obere Stück des Schienbeins fehlt.«
Brolin nickte. Das Paket an Malicia Bents.
»Hören Sie, ich habe Ihnen noch nicht alles gesagt«, gestand Annabel. »Die Nachricht, die die junge Taylor trug, war an mich adressiert. Ich denke die ganze Zeit daran. Auf Ihren Rat hin habe ich bei meinem Vorgesetzten darauf bestanden, dass bei Pressemitteilungen, wenn denn unbedingt ein Detective erwähnt werden muss, mein Name genannt wird. Ich glaube, das hat funktioniert.«
»Haben Sie Angst?«
Annabel dachte einen Augenblick nach, dann schüttelte sie den Kopf.
»Ich glaube nicht.«
»Bob brauchte einen Ansprechpartner bei der Polizei. Sie verkörpern diejenigen, die ihn verfolgen, das passt ihm nicht. Vielleicht fühlt er sich aber auch geschmeichelt. Ich denke nicht, dass er Sie persönlich bedroht, er attackiert den Apparat, dessen Symbol Sie sind. Seien Sie trotzdem vorsichtig.«
Annabel schaute den Hügel hinunter auf die Lagerhäuser und verlassenen Docks. Sie sog den kühlen Wind ein, der über ihr Gesicht strich.
»Wer ist Malicia Bents?«, fragte sie. »Sie haben heute Morgen von ihr gesprochen.«
»Ich denke, sie ist Bobs rechte Hand und in gewisser Weise seine Repräsentantin.«
Annabel sah ihn fragend an.
»Woher wissen Sie das?«
Brolin schilderte den Tempel im Lagerhaus von Red Hook, erzählte von dem Papierfetzen mit dem Namen Malicia Bents und danach von seinem Gespräch mit Freddy Copperpot.
»Wenn wir bei der Ausgangshypothese bleiben, dass Bobs Gruppe nur aus drei Personen besteht, dann ist Malicia Bents wie Janine Shapiro ein Faktotum des Verbrechens im Dienste der Gruppe.«
»Und wenn Malicia und Janine ein und dieselbe Person wären?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Diese Malicia ist ganz schön dreist, ihren kleinen Handel unter falschem Namen per Post abzuwickeln. Das alles passt nicht zu Janines Persönlichkeit. Ich sehe Janine als Werkzeug ihres Bruders, ein gebrochenes Wesen, das in seinem Kielwasser trieb. Nein, bei Malicia handelt sich um eine andere Frau, und sie muss in der Nähe von Phillipsburg leben, wo sie ihre Pakete entgegennahm.«
Saphir, der neben ihnen her trabte, lief plötzlich schneller und bog in einen Seitenweg ein. Sie folgten ihm und führten ihre Unterhaltung fort.
»Warum eine Frau? Was könnte ihr Motiv sein? Bei Janine war es der Bruder, aber bei Malicia?«
»Janine hielt sich für völlig wertlos, weil ihr Bruder es so wollte. Durch die ständigen Misshandlungen fand sie schließlich heraus, dass sie, wenn sie andere mordete oder folterte, selbst plötzlich alles war: stark, gefürchtet, mächtig. Nur darum hat sie ihre Rolle akzeptiert. Doch ein Teil ihrer selbst wollte das nicht, deshalb strich sie das Blut auf die Kirchenfenster. Sie suchte Vergebung oder, im Gegenteil, Strafe.«
»Haben Sie mit ihr gesprochen?«, fragte Annabel verwundert.
»Nein, so empfinde ich die Situation. Ich kann mich irren, natürlich, es ist nur eine Deutung. Aber so ist es in vielen ähnlichen Fällen. Doch um auf Malicia Bents zurückzukommen, ich glaube, wir haben es hier mit einer ausgereiften, willensstärkeren Persönlichkeit zu tun. Erst wenn wir wissen, warum Bob seine Opfer so lange am Leben lässt, können wir auch Malicias Motivation ergründen.«
»Bob ist ein Psychopath!«, knurrte Annabel. »Er hat Taylor Adams sechs Wochen lang eingesperrt, bevor er sie mit einer Nachricht, die an ihre Brust geheftet war, wieder frei ließ. Er hat sie in den Wahnsinn getrieben! Sie macht den Mund nur noch auf, um zu schreien oder um zu sagen, dass sie in der Hölle bei den Dämonen war. Was, zum Teufel, macht er mit diesen Menschen?«
»Ich habe anfangs an Sexsklaven gedacht, doch nach den neuen Erkenntnissen über seine Persönlichkeit erscheint das nicht mehr logisch. Kommen Sie.«
Brolin zog die junge Frau in die Remsen Street, die sie hinuntergingen, unter dem Brooklyn-Queens-Expressway hindurch bis zum
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