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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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nächtliches Blauschwarz getaucht war.
    Empfand er etwas für die junge Frau? Empfand er überhaupt für irgendjemanden etwas? Er legte die Hand auf die kalte Scheibe. Ein zartes Pflänzchen der Freundschaft, vielleicht ein geheimes Einverständnis, das von Dauer sein könnte … Er schüttelte den Kopf und nahm sich vor, Annabel zu schreiben, wenn er wieder zu Hause in Portland wäre. Briefe eines guten Freundes, damit sie sich in den Stunden der Dämmerung etwas weniger einsam fühlen würde.
    Seine Hand hinterließ eine gespenstische Spur auf dem Glas.

    Brolin verbrachte den Rest des Abends an der Hotelbar, trank einen White Russian nach dem anderen und warf hin und wieder einen zerstreuten Blick zu dem Fernseher, der über den Flaschen angebracht war. Als er die Fotos der Opfer sah, die in der New York Post veröffentlicht worden waren, wäre er beinahe vom Hocker gefallen. Er bat den Barkeeper, den Ton lauter zu stellen.
    »… um die öffentliche Erklärung von Special Agent Wahren. Es scheint also ein Zusammenhang zwischen den beiden Fällen zu bestehen, bislang ist jedoch noch unbekannt, welcher. Die Vielzahl der in den Skylands gefundenen Leichen lässt allerdings das Schlimmste vermuten, man spricht hier sogar von einem ›Massengrab‹. Wie auch immer, das FBI wird alle Mittel zur Verfügung stellen, um …«
    Jetzt hatten sie den Salat. Das FBI intervenierte. Brolin dachte an Annabel, die vor Wut kochen musste. Im besten Fall würden sie das NYPD um Unterstützung bitten, und Annabel und ihre Kollegen würden weiter in die Ermittlungen einbezogen, jedoch im Dienst der Feds, der Federal Agents des FBI. Ansonsten würden sie aus der Ferne zusehen …
    Der Alkohol begann seine Wirkung zu tun, die Bilder verschwammen und drehten sich, Brolin sah Skelette in Dreiteilern mit schwarzen Sonnenbrillen einander gratulieren. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Von den White Russians besiegt, zog er sich auf sein Zimmer zurück und schlief vollständig angekleidet ein.

47
    Annabel lag erschöpft auf dem Bett. Zwei Stunden lang hatte sie vor Wut getobt und ihren Zorn schließlich mit Liegestützen und Sit-ups abreagiert. Jetzt war sie völlig erledigt, starrte an die Decke und kam allmählich wieder zu Atem. Jack Thayer hatte sie angerufen, um ihr die Neuigkeit mitzuteilen. Das FBI schloss sie nicht gänzlich aus, sie sollten den Federals zuarbeiten, mit anderen Worten, man legte ihnen Maulkorb und Zügel an. Gegen Ende des Telefonats hatte Thayer von Brolin gesprochen, von dessen Ideen, was Bob betraf, kurz, er wollte ihn kennen lernen. Annabel hatte gespürt, dass der starrsinnige Cop, der er nun einmal war, nicht lockerlassen würde. Er würde weitermachen. Die leeren Augenhöhlen all dieser Skelette lasteten zu schwer auf der Seele, als dass man sie auf Anweisung des FBI einfach so vergessen könnte. All diese Fotos, die sie täglich vor Augen hatten, und die Leben, die dahinter standen. Es war erst eine Woche her, dass alles angefangen hatte, und doch hatte jeder den Eindruck, diese Menschen seit Jahren zu kennen. Annabel und Jack würden sich morgen mit Brolin treffen und ihm einen Handel vorschlagen.
    Der getrocknete Schweiß spannte auf der Haut der jungen Frau, während ihre Bedenken wuchsen. Sie hatte Angst, dass Jack herausfinden würde, was mit Shapiro passiert war. Sie hatte Angst, ihm davon zu erzählen, Angst, es zu verschweigen …
    Sie stand auf, warf ihre Kleider auf einen Stuhl in ihrem Schlafzimmer und lief, den Blick auf die erleuchtete Skyline von Manhattan gerichtet, im Slip ins Badezimmer. Sie drehte die Hähne der Dusche auf und zog sich ganz aus. Der große Spiegel warf ihr Bild zurück und machte ihr das Kompliment, dass ihr Körper so durchtrainiert war wie nie zuvor. Das Seepferdchen auf ihrer Hüfte erwiderte ihren Blick, sein überlanger Schwanz schmiegte sich anmutig in ihre Rundungen. Sie erinnerte sich an Bradys belustigten Blick, als er die Tätowierung zum ersten Mal gesehen hatte. »Meine Sirene beherbergt Meeresdrachen rund um ihr Allerheiligstes«, hatte er lachend gesagt.
    Sie legte die Hand auf ihren flachen Bauch. Bei jedem Atemzug zeichneten sich die Muskeln ab. Niemals würde sie das Kind ihres Mannes austragen. Dieser große Luxus war unmöglich für sie geworden, zurück blieb eine schmerzende Narbe in ihren Eingeweiden. Sie hatte ihre persönliche Aporie gefunden.
    Als sie spürte, dass ihr die Tränen kamen, wandte sie sich rasch ab und trat in die Duschkabine. Sogleich

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