In Blut geschrieben
vorher, so kam es ihr vor. Ganz nah, direkt hinter der Wand. Wenn er es wirklich war, dann stand er jetzt nur wenige Zentimeter von der Türöffnung entfernt. Annabel stellte sich ein sadistisches Grinsen vor. Unmöglich. Er kann nicht mehr da sein!
Sie machte noch einen Schritt und erreichte, was sie gesucht hatte: ihre Kleider, die sie über den Stuhl geworfen hatte. Sie tastete mit der Hand, bis sie das Holster gefunden hatte. Hastig zog sie die Beretta heraus, schnellte herum und richtete sie auf die Türöffnung. Sie zögerte. Sie wusste nicht mehr, was sie tun sollte. Die Vorsicht riet ihr, die ganze Wohnung abzusuchen und alle Lichter anzumachen, doch wenn er wirklich noch da war, konnte er sich jederzeit auf sie stürzen und sie entwaffnen.
Jack anrufen!
Sie wich zurück und ließ ihr Duschtuch fallen. Also gut. Ohne die Tür aus den Augen zu lassen, auf die ihre Waffe gerichtet war, wühlte sie mit der anderen Hand in dem Kleiderhaufen. Sie hatte ihr Handy nicht herausgenommen, es musste also noch in ihrer Jeanstasche stecken.
Die Tasche war leer.
Sie schüttelte die Hose. Nichts.
Mist … Verdammter Mist! Diesmal gab es keinen Zweifel mehr. Jemand war in ihre Intimsphäre eingedrungen.
Sie warf einen verstohlenen Blick auf das Päckchen. »ÖFFNE ES – JETZT!«
Okay, wenn du darauf bestehst …
Sie versuchte, sich zu beruhigen, indem sie sich einhämmerte, einen klaren Kopf zu bewahren, obwohl ihre Angst ständig zunahm. Sie öffnete das Päckchen, und eine Videokassette fiel heraus. Darauf ein Klebezettel mit den Worten: »LEG SIE EIN – SOFORT !« Es handelte sich um eine Spezialkassette, um einen Adapter für die wesentlich kleinere Kassette des Camcorders.
Ihre Hände zitterten.
Okay, okay, ich lasse mich auf dein Spiel ein …
Obwohl sie sich kaum bewegte, keuchte sie, und ihre Haut überzog sich mit einem dünnen Schweißfilm. Sie ging zum Fernseher am Fuß des Bettes und schob die Kassette in den Videorekorder. Ihre Waffe war noch immer auf die Türöffnung gerichtet. Sie setzte sich auf den Bettrand und hüllte sich in das Duschtuch.
Weiße Streifen erschienen auf dem Bildschirm.
Dann ihr Wohnzimmer.
Es brannte Licht. Derjenige, der filmte, hielt die Kamera so, dass von ihm nichts zu sehen war. Er näherte sich dem Schlafzimmer.
Annabel musste immer wieder zum Wohnzimmer hinüberschauen.
Auf dem Bildschirm war jetzt ihr Schlafzimmer zu sehen. Die Kamera machte einen Schwenk von links nach rechts und verweilte auf dem Kleiderhaufen, der auf dem Stuhl neben dem Bett lag. Eine behandschuhte Hand erschien am unteren Bildrand, glitt in ihre Jacke, zog eine Brieftasche hervor und schob sie gleich wieder zurück. Die Hand fand Annabels Handy und ließ es außerhalb des Blickfelds verschwinden. Dann tauchte sie erneut auf und griff diesmal nach der Beretta. Die Kamera wackelte etwas, wie von einem boshaften Lachen geschüttelt. Und die Hand holte eine Kugel nach der anderen aus dem Magazin.
Ein Frösteln durchfuhr Annabel.
Mit sicherem Griff drehte sie das Magazin ihrer Waffe.
Leer.
In der Panik hatte sie den Gewichtsunterschied nicht bemerkt.
Wieder knarrte das Parkett. Fast schüchtern diesmal.
Ihre Nerven flatterten. Sie ahnte, wie wohltuend es wäre, das Geräusch einfach zu ignorieren – ihm nachzugeben bedeutete den Tod. Ihr Atem ging schwer und stoßweise.
Der Videofilm lief gnadenlos weiter. Der Eindringling hatte sich wieder aufgerichtet und verließ das Schlafzimmer. Er machte eine Drehung und richtete das Objektiv auf die Tür zum Bad. Jetzt hörte man deutlich das Rauschen der Dusche. Er kam näher. Die behandschuhte Hand stieß die Tür behutsam auf, er trat ein.
Er war im Bad gewesen, während sie duschte! Das war kein eingebildeter Luftzug gewesen!, schrie es in ihrem Innern. Es war nicht deine Fantasie. Nein, er war’s! Er war hier!
Das Objektiv glitt über den Badeteppich und verharrte auf Annabels Slip, zoomte ihn heran und wanderte dann zu der Duschkabine. Die Dunstschwaden verwischten das Bild ein wenig. Jetzt sah sich Annabel, an die Wand der Kabine gelehnt, während sie unter dem Wasserstrahl träumte. Die Haut von Rücken und Gesäß wirkte milchig weiß durch das Glas und war von platzenden Tröpfchen umgeben.
Die behandschuhte Hand näherte sich der Scheibe, legte sich kurz auf Annabels Hinterteil und machte dann mit dem Finger eine obszöne Bewegung.
Diesmal ergriff sie ein Schwindelgefühl. Verzweifelt presste sie das Duschtuch an sich und ließ die
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