In Blut geschrieben
umfingen sie heiße Dämpfe. Sie blieb lange unter dem Wasser stehen, genoss die Umarmung des kräftigen Strahls, den brennenden Biss, der die Verspannungen, die Knoten löste. Sie zwang sich, an Nebensächliches zu denken, an den Schnee, der die Stadt in seinen weißen Mantel hüllte. Sie konzentrierte sich so sehr darauf, dass sie fröstelte und das Gefühl hatte, ein eisiger Luftzug würde sie plötzlich streifen. Der ganze Raum war in Dunst gehüllt, als sie aus der Duschkabine trat. Dichter als der berühmte Londoner Nebel. Annabel fühlte sich wie im Herzen einer Wolke. Sie trocknete sich rasch ab und öffnete die kleine Luke, damit der Dampf abziehen konnte. Eingewickelt in ein Duschtuch, lief sie in die Küche und machte sich ein Sandwich mit Mixed Pickles. Sie knipste die Lichter aus und kehrte in ihr Schlafzimmer zurück. Im Fernsehen wurde gerade einer dieser alten Schwarz-Weiß-Filme gezeigt, auf die sie so versessen war.
Sie stellte das Tablett auf dem Bett ab und ließ das Duschtuch auf den Boden fallen.
Und in diesem Augenblick sah sie es.
Ihre Beine begannen zu zittern.
48
Er war in seinem Wagen sitzen geblieben und hatte lange gegrübelt.
Jetzt hatten die Ermittler es also gefunden. Zum Glück war er schon immer extrem vorsichtig gewesen, bis zum Exzess. Es hieß, einen klaren Kopf zu bewahren und keinen Fehler zu machen. Diese kleine Schlampe Annabel O’Donnel hatte nicht lockergelassen, und vor allem hatte sie den Waggon entdeckt. Und das war sehr schlecht. Er müsste in Zukunft anders vorgehen. Aber zunächst sollte dieses Miststück für ihre Neugier bezahlen. Es sollte sie schwer treffen und eine schmerzhafte Demütigung sein. Und in dieser Domäne kannte er sich aus.
Er durfte sie nicht töten, er musste ihr das Rückgrat brechen.
Zuerst hatte er erwogen, sie mit in seine Höhle zu nehmen, um sie derselben Tortur zu unterziehen wie Taylor Adams. Sie in den Wahnsinn treiben. Zu diesem Zweck hatte er einen genialen Prozess erfunden. Er hatte bereits mehrere Versuche durchgeführt, die außergewöhnliche Ergebnisse erbracht hatten. Er besaß die Macht, Menschen verrückt zu machen.
Nach genauerer Überlegung kam ihm ein noch besserer Einfall. Er wollte sie leiden sehen. Richtig leiden.
Und die Idee, die in den obskuren Winkeln seines Gehirns reifte, war bei weitem die beste für diese Zwecke.
Er besaß die Gabe, die tiefsten Ängste der Menschen auszuloten. Und bei Annabel O’Donnel wusste er genau, wie er vorzugehen hatte.
Alles war bestens zu organisieren, damit niemand seine Abwesenheit bemerkte, doch das war nicht weiter schwierig. Was am meisten Zeit in Anspruch nahm, war die Vorbereitung seines Coups, drei Stunden insgesamt. Die Aktion selbst dauerte nur ein paar Minuten.
Vor allem musste er einen Weg finden, um in die Wohnung zu gelangen. Der Schreck löste Angst aus, seine bevorzugte Waffe. Ein Kinderspiel. Das Schloss ließe sich schnell mit dem Dietrich öffnen. Dann musste er seine kleine Inszenierung vorbereiten, die Wirkung wäre grandios.
Als er Geräusche aus dem Schlafzimmer hörte, rieb er sich die Hände, und sein Schatten verschmolz mit denen des Wohnzimmers.
Schritt für Schritt schlich er sich näher.
Himmel, würde das ein Spaß sein!
49
Die Nachttischlampe verbreitete ein blasses Licht im Zimmer.
Annabel – eben noch wohlig entspannt – war der Schreck in die Glieder gefahren. Das Gefühl explodierte gleichsam in ihr und machte sie benommen, als wäre sie nach einer Siesta zu schnell aufgestanden. Winzige schwarze Pünktchen tanzten vor ihren Augen, sie rang nach Luft.
Sie war nackt, verletzlich, konnte den Blick nicht von dem gelben Päckchen lösen, das auf ihrem Kopfkissen lag.
Genau dort, wo sie eine Stunde zuvor noch selbst gelegen hatte. Jemand war in ihrer Anwesenheit in ihre Wohnung eingedrungen!
Sie bemerkte plötzlich, dass sie auf der Schwelle des Schlafzimmers stand, den Rücken zum Wohnzimmer, das im Dunkeln lag. Langsam hob sie das Duschtuch auf, drückte es an sich und ging um das Bett herum. Auf dem Päckchen stand in krakeligen Großbuchstaben geschrieben: »ÖFFNE ES – JETZT !« Sie hörte ein leises Knarren des Parketts im Wohnzimmer und fühlte, wie ihr Herz zu rasen begann, ihr Atem sich beschleunigte. Ganz ruhig, das sind nur die Temperaturschwankungen, das kommt öfter vor. Derjenige, der das Päckchen abgelegt hat, ist längst verschwunden. Es wäre viel zu riskant für ihn, hierzu bleiben.
Erneutes Knarren. Näher als
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