In Blut geschrieben
brach. Er legte ein Blatt Papier und einen Stift vor sie hin.
»Janine, ich würde unser Gespräch gerne fortsetzen.«
Er hatte die vorherige Sitzung etwas früher am Nachmittag abgebrochen, nachdem er gespürt hatte, dass sie immer verstockter wurde, je präziser seine Fragen auf das Verhalten ihres Bruders zielten.
»Können Sie mir bitte den Text vor Ihnen vorlesen?«
Janine fröstelte und gehorchte. »Ich antworte freiwillig auf die Fragen, die mir gestellt werden, und wünsche im Moment keinen Anwalt. Die Entscheidung, die Fragen ohne Beisein eines Anwalts zu beantworten, wurde aus freien Stücken getroffen.«
»Setzen Sie bitte Ihre Initialen darunter und unterschreiben Sie.«
»Ich glaube, so etwas Ähnliches habe ich schon unterschrieben«, erwiderte sie mit kaum hörbarer, zitternder Stimme.
Keel neigte den Kopf zur Seite wie eine Mutter, die nachsichtig ihr Kind betrachtet.
»Das macht nichts«, erwiderte er mit freundlicher, warmer Stimme. »Habe ich Sie vorhin etwa falsch verstanden? War nicht ich es, der ausführlich und zutreffend beschrieben hat, was Sie durchgemacht haben? Janine, Sie sehen doch, dass ich auf Ihrer Seite stehe.«
Er reichte ihr den Stift. Janine senkte den Blick und unterschrieb.
»Sehr gut«, erklärte Keel und nahm ihr gegenüber Platz. »Machen wir weiter?«
Er zog ein kleines Diktiergerät aus seiner Westentasche, stellte es auf den Tisch, drückte auf die Aufnahmetaste und sagte dann seinen Namen, den seines Gegenübers sowie Datum und Uhrzeit.
»Jetzt weiß ich schon viele Dinge, Janine, über den Tod Ihrer Eltern, über die Art, wie Ihr Bruder Sie behandelt, wie er Sie missbraucht hat. Mir ist klar, dass Sie das Opfer sind, dass er Sie zu bestimmten Sachen gezwungen hat … Darum haben Sie sich mit dem Zweitschlüssel, den Sie wegen Ihres Putzjobs hatten, Zugang zur Kirche verschafft und das Blut der Opfer auf den Scheiben verteilt, um für Ihre Sünden zu sühnen. All das ist nun klar. Aber jetzt müssen wir auf den Schuldigen zu sprechen kommen, denjenigen, der Sie in diesen Abgrund gestoßen hat. Erzählen Sie mir von Lucas. Wie hat alles angefangen?«
Nur mühsam konnte Janine ihre Tränen zurückhalten. Sie atmete tief durch, begann leise zu sprechen und suchte immer wieder nach Worten.
»Lucas war schon immer ein Schürzenjäger. Er war ganz scharf auf Mädchen. Als ich noch klein war, verlangte er von mir, dass ich ihm half, meine Kameradinnen zu fesseln. Das nahm jedes Mal ein schlechtes Ende, und nach und nach hatte ich keine Freundinnen mehr …«
»Ich verstehe. Und hatte Lucas Freunde? Traf er sich zum Beispiel in letzter Zeit mit anderen Leuten? Kamen sie zu Ihnen nach Hause?«
»Selten. Als Jugendlicher wollte Lucas immer Mitglied einer Gang sein, er sagte, das sei toll. Aber er war ein Einzelgänger, ich glaube nicht, dass er einer Bande hätte angehören können …«
»Aber er hat sich doch mit irgendwelchen Bekannten getroffen? Standen die ihm nah? Ging er mit ihnen aus?«
»Nicht oft.«
Leicht irritiert massierte sich Keel den Nacken. Er spürte, dass sich ihr Widerstand langsam wieder aufbaute – und das nach all der Mühe, die er sich gegeben hatte, um sie zum Sprechen zu bringen. Mit einer diskreten Handbewegung schaltete er das Diktiergerät aus.
»Und kannten Sie diese Männer?«, fragte er.
Sie bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick.
»Ich … ich weiß nicht, ob ich weiterreden will, vielleicht ist ein An …«
Special Agent Keel schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Na wunderbar!«, schrie er. »Ich tue alles, um Sie zu verstehen, alles, damit das Aussageprotokoll zu Ihren Gunsten ausfällt, und was tun Sie? Sie machen alles zunichte!«
Er richtete sich auf seinem Stuhl auf, so dass sein Gegenüber noch schmächtiger wirkte.
»Janine, nun denken Sie doch mal nach! Bislang ist dem Autopsiebericht der Toten, die man in Larchmont gefunden hat, ganz eindeutig zu entnehmen, dass es Ihre Hände sind, die sie erdrosselt haben! Mit einem Top-Anwalt bekommen Sie vielleicht mildernde Umstände, dann entgehen Sie der Todesstrafe und verbringen den Rest Ihres Lebens hinter Gittern. Ist er aber eine Niete, dann … Glauben Sie mir, Sie können sich einen guten Anwalt gar nicht leisten, und Pflichtverteidiger kenne ich zur Genüge …« Er legte seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Janine, wenn Sie mir jetzt nicht helfen, alles zu verstehen, ist es aus für Sie. Das entscheidet sich in diesem Augenblick, denn ich
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