In Blut geschrieben
wirklich zugeht, ich meine, deine eigene Erfahrung und nicht die Gerüchte?«
Die Gesichtszüge des jungen Farbigen schienen noch markanter, als er sagte: »Ja. Und ich würde nie wieder hingehen.«
»Warum? Was hast du dort unten getan?«
Nemek warf seine Kippe in den Schnee und musterte Brolin, als hätte der nichts verstanden.
»Es geht nicht darum, was ich gemacht, sondern was ich gesehen habe. Aber bald weißt du’s selbst. Heute Nacht. Heute Nacht wirst auch du die Hölle kennen lernen.«
Brolin fröstelte in der beißenden Kälte, die Brooklyn überzog.
Offenbar wurde die Hölle zur Obsession in dieser Stadt.
Als er die Feuerleiter wieder hinunterstieg, fragte sich Brolin, ob nicht er selbst all das anzog. Er fragte sich, ob er nicht mit den Dämonen dieses Planeten verbunden war.
Egal, in welcher Form sie sich zeigten.
53
Auf dem Fußboden standen geöffnete Pappschachteln mit Resten von chinesischen Nudeln und eine Dose Litschisaft. Mehrere Telefonbücher stapelten sich in der Mitte. Der Laptop auf dem Couchtisch warf sein bläuliches Licht auf Annabels Gesicht. Jack Thayer saß neben ihr auf dem Sofa, den Telefonhörer am Ohr, verärgert, dass er immer noch warten musste, weil am Sonntagnachmittag alles langsamer ging.
Sie hatten elf Museen ausfindig gemacht, die sich mit der Geschichte der Transportmittel von New Jersey beschäftigten. Außerdem verfügten sie über ein Dutzend Adressen von privaten Kennern der Materie.
Mit halbem Ohr lauschte er der Musik in der Warteschleife und hoffte, endlich mit dem gewünschten Gesprächspartner verbunden zu werden. Annabel legte ihm freundschaftlich die Hand auf den Arm.
»Du warst gestern der Erste, den ich angerufen habe, als … na ja, nach dieser Geschichte mit der Videokassette.«
»Tut mir wirklich Leid … Ich hätte das Handy nicht ausschalten dürfen.«
»Um ehrlich zu sein, ich hatte richtig Angst. Normalerweise bist du immer erreichbar, und eine Minute lang habe ich gedacht, dir sei etwas passiert, als wäre … Ich meine, man kann nie wissen, wozu dieser Bob fähig ist.«
Thayer rutschte unbehaglich auf der Couch hin und her.
»Ich … Ganz ehrlich, das ist unverzeihlich. Vor allem … Anna, ich war gestern Nacht mit einer Frau zusammen.«
»Oh.«
Sie ärgerte sich über diese idiotische Antwort. Doch das hatte sie von Thayer nicht erwartet. Von ihm, dem eingefleischten Junggesellen und intellektuellen Einsiedler.
»Es gibt doch keinen schöneren Grund, nicht ans Telefon zu gehen«, sagte sie schließlich angesichts der verlegenen Miene ihres Kollegen.
Sie sprachen so ziemlich über alles, seitdem sie zusammen arbeiteten, außer über Thayers Liebesleben. In dieser Hinsicht war er stets sehr zurückhaltend.
»Sie ist ein sehr nettes Mädchen. Ich habe sie vor drei Wochen kennen gelernt. Ich wusste nicht, wie ich’s dir sagen sollte.«
»Das freut mich für dich, Jack.«
Ihm blieb keine Zeit, zu antworten, denn die Stimme seines Gesprächspartners ertönte im Hörer.
Noch immer erstaunt und zugleich erfreut, machte sich Annabel daran, Ordnung in die Akten zu bringen, die in der Wohnung herumlagen. Trotzdem, wenn Jack diese Frau schon seit drei Wochen kannte, hätte er ihr ruhig davon erzählen können …
Sie nahm die siebenundsechzig Fotos von der Wand und packte sie in eine alte Ledertasche. Wenn sie ihre Recherchen auf New Jersey ausdehnen würden, zählte sie auf die Hilfe von Sheriff Murdoch und hoffte, ihr Hauptquartier in seinem Büro aufschlagen zu können.
So arbeitete jeder eine Weile vor sich hin. Thayer schrieb die Namen aller Museumsangestellten auf, als Annabels Telefon klingelte. Wie versprochen, meldete sich Brett Cahill. Er ließ sie nicht fallen.
»Hier regt sich was, Leute«, begann er. »Diese Burschen vom FBI haben was auf dem Kasten. Fällt mir nicht leicht, es zuzugeben, doch die Feds können was. Special Agent Neil Keel leitet die Operation, er hat auch Janine Shapiro verhört. Ein verdammt guter Rhetoriker, sage ich euch. Er hat Janines Akte studiert, und nachdem er zwei Stunden ohne Pause auf sie eingeredet hat, war sie bereit auszupacken. Deshalb wollte sie ihn heute sehen. Sie sind dabei, ihr Leben unter die Lupe zu nehmen. Keel führt sie ganz behutsam zu ihrem Bruder und zu Bob, zum Caliban-Kult.«
»Ist was Interessantes dabei rausgekommen? Irgendwelche Namen?«
»Nein, nicht viel«, murmelte Cahill. »Sie packt ihr Leben aus. Unsere kleine Farm ist dagegen harmlos. Gleich geht’s weiter.
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