In Blut geschrieben
nicht gerade das leichteste Gebiet für einen Privatdetektiv ausgesucht.«
Annabel bereute ihre Bemerkung, als sie den Schatten im Blick ihres Gegenübers gewahrte. Sie hatte nur das Schweigen brechen wollen und kam sich plötzlich albern vor.
»Gut … hören Sie«, stammelte sie, »es handelt sich um äußerst heikle Ermittlungen, und ich bin nicht befugt, Ihnen die Daten zukommen zu lassen. Um Ihnen einen Freundschaftsdienst zu erweisen, kann ich Sie jedoch ein wenig informieren. Aber erwarten Sie nicht allzu viel, die Schweigepflicht ist höchstes Gebot.« Sie deutete mit dem Kinn auf die Zeitung. »Auch wenn es anfangs ein paar undichte Stellen gab, haben wir die Situation jetzt voll im Griff.«
Nun zog Brolin ein Notizbuch und eine Lesebrille hervor, die er aufsetzte, was ihm, wie Annabel fand, einen intellektuellen Touch gab, der nicht zu ihm passte.
»Der Kerl, den Sie da an der Wand sehen, ist Spencer Lynch. Er wurde wegen Mordes verhaftet. Sie haben sicher die Pressekonferenz verfolgt.«
»Ja. Könnten Sie mir vielleicht eine Kopie des Fotos überlassen?«
»Nein, das geht zu weit. Fakt ist, dass er derzeit im Koma liegt und dass wir bei ihm eine gewisse Anzahl an Fotos dieser Art gefunden haben.«
Und wieder deutete sie auf die Zeitung.
»Eine gewisse Anzahl?«, wollte Brolin wissen. »Heißt das, es waren nicht nur acht?«
Der Satz klang mehr wie eine düstere Feststellung denn wie eine Frage.
Annabel starrte ihn an.
»Genau das, doch vorerst werden Sie nicht mehr von mir erfahren. A propos … über Rachel – so heißt sie doch? – wissen wir nicht viel, sie ist eines der fotografierten ›Opfer‹. Wir werden diesbezüglich Nachforschungen anstellen, doch das braucht Zeit. Trotzdem – oder glücklicherweise – wurden nur zwei Leichen bei Lynch gefunden. Und … wir glauben, dass er nicht allein arbeitete.«
»Ein Killer-Duo?«
Und wieder zögerte Annabel einen Augenblick, versuchte abzuwägen, was sie sagen durfte und was sie unter allen Umständen verschweigen musste.
»Möglich. Vielleicht sind es sogar drei, doch das ist lediglich eine Vermutung. Mister Brolin, dass das klar ist: Alles, was hier gesagt wurde, muss unter uns bleiben, verstanden? Sollte ich jemals erfahren, dass Sie diese vertraulichen Informationen an jemand anderen weitergeben, dann ist Schluss. Habe ich mich deutlich ausgedrückt?«
»Hundert Prozent. Und falls Sie das beruhigt – ich war früher selbst bei der Polizei.«
Annabel bemerkte in seiner Haltung eine Aufrichtigkeit, eine Gefühlsbewegung, die er nicht zu beherrschen vermochte und die sie neugierig machte.
Angesichts ihres Schweigens runzelte Brolin die Stirn.
»Was ist?«
Sie wollte etwas sagen, wusste aber nicht, ob ihre Neugier nicht zu persönlich wäre. Schließlich gestand sie:
»Ich weiß selbst nicht, warum, doch ich habe den Eindruck, Sie irgendwoher zu kennen.«
Diesmal war es Brolin, der eine Weile stumm blieb, bevor er antwortete: »Vor etwas mehr als zwei Jahren war ich an der Festnahme eines Serienmörders beteiligt, den die Presse ›das Phantom von Portland‹ nannte. Das könnte der Grund sein, denn das Medieninteresse war damals sehr groß.« 1
Annabel erinnerte sich, der Fall hatte damals viel Staub aufgewirbelt. Ein gefürchteter Mörder hatte Katz und Maus mit der Polizei gespielt, hatte Leichen zurückgelassen und kabbalistische Botschaften verschickt. Und wenn sie sich nicht täuschte, hatte Brolin damals die Ermittlungen geleitet und anschließend den Dienst quittiert, weil er sich für den Tod eines der Opfer des Killers verantwortlich fühlte. Er hatte sich vorgeworfen, nicht schnell genug gehandelt zu haben.
Sie fühlte plötzlich etwas wie Sympathie für ihr Gegenüber und konnte die Anspannung auf diesem Gesicht verstehen, diese eigenartige Energie, die ihm Charisma verlieh, eine beunruhigende, aber faszinierende Kraft, eine Intensität, wie kein Schauspieler sie hätte vortäuschen können.
Brolin brach als Erster das Schweigen.
»Das Ganze ist eine alte Geschichte, die ich zu vergessen versuche.«
»Ich verstehe. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
»Nein danke. Noch einmal zu Rachel Faulet – haben Sie noch andere Informationen?«
Du gehörst zu denen, die nicht locker lassen, wenn sie nicht bekommen haben, was sie wollten! Deshalb aber schätzte sie ihn nicht weniger.
»Nichts, tut mir Leid. Ich kann Ihnen zunächst nur Folgendes sagen: Spencer Lynch hatte zwei Leichen in der Wohnung, und er hat
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