In Blut geschrieben
oder zwei Leute in Reserve …«
Das allgemeine Stimmengewirr erstarb abrupt, die meisten wandten sich zur Eingangstür um. Die leise Rockmusik aus der Stereoanlage war plötzlich zu hören. Die Tanner’s Bar war eine Bar für Cops, wurde von einem Excop geführt und ausschließlich von Cops besucht, und so ging das schon seit vierzehn Jahren mit einer Selbstverständlichkeit, die nichts und niemand in Frage stellen würde. Und wie jedes Territorium wurde auch dieses verteidigt, was manchmal zu filmreifen Szenen führte.
Der Mann auf der Schwelle ließ nun seinerseits den Blick über die Versammlung schweifen und steuerte dann auf Annabel zu. Er hatte eine Zeitung unter den Arm geklemmt.
»Sind Sie Detective O’Donnel?«, fragte er.
»Sind Sie von der Presse?«, gab sie zurück und deutete auf die New York Post.
Der Neuankömmling zückte seine Karte, die ihn als Privatdetektiv auswies.
»Nein, aber ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen zu dem Fall stellen, in dem Sie gerade ermitteln.«
Annabel musterte ihn. Mittlere Größe, athletischer Körperbau, eher attraktiv, mit braunen Haarsträhnen, die ihm über die Augen fielen; mit seinem Look – Dreitagebart, Jeans und abgetragene Lederjacke – hatte er etwas von einem Filmstar. Er müsste Anfang dreißig sein, dachte sie.
»Mein Spezialgebiet ist die Suche nach vermissten Personen«, fügte er hinzu.
Etwas am Blick der jungen Frau veränderte sich, er funkelte geradezu von einer neuen Intensität.
»Okay, folgen Sie mir, gehen wir in mein Büro, Mister …«
Er streckte ihr die Hand entgegen.
»Brolin. Joshua Brolin.«
9
Obwohl der Raum mit Schreibtischen und Aktenschränken voll gestellt war und noch dazu über eine Kaffeeküche und eine große Tafel für die laufenden Ermittlungen verfügte, ließen die beiden Fenster ihn weniger winzig erscheinen. Überall Stapel von kartonierten Aktenhüllen, aus denen Dokumente hervorschauten. Annabel forderte Brolin auf, zwischen diesen Pisatürmen Platz zu nehmen, und setzte sich ebenfalls.
»Laut Ihrem Ausweis sind Sie aus Oregon. Was führt Sie hierher? Ihre Frage wäre doch vielleicht telefonisch zu klären gewesen«, sagte sie und warf ihren Mantel über einen Garderobenständer, der seinerseits in gefährliche Schieflage geriet.
Joshua legte seine Zeitung auf den Schreibtisch und deutete mit dem Zeigefinger auf eines der acht Fotos.
»Sie. Rachel Faulet. Ihre Eltern haben mich beauftragt, sie zu finden. Es handelt sich um eine Familie aus Portland, wo ich arbeite.«
Annabel lehnte sich in ihrem Sessel zurück und fixierte den Privatdetektiv. Der fuhr fort: »Rachel ist zwanzig, ein quicklebendiges, sehr ehrgeiziges Mädchen. Letzten Dezember wurde sie plötzlich depressiv und verließ die Universität. Sie hatte festgestellt, dass sie schwanger ist. Für sie war es eine Katastrophe. Kurz nach Weihnachten beschloss sie, zu ihrer älteren Schwester nach Phillipsburg in New Jersey zu reisen. Dort erhoffte sie Trost, den sie bei ihren Eltern wohl nicht gefunden hätte. Die beiden jungen Frauen verstehen sich sehr gut, und Rachel richtete sich bei ihr ein. Sie musste sich schnell entscheiden, ob sie das Kind behalten oder abtreiben wollte, und zählte dabei auf den Rat ihrer Schwester. Dann, vor acht Tagen, am dreizehnten Januar, unternahm Rachel, wie sie es sich inzwischen angewöhnt hatte, ihren täglichen Ausritt im Wald. Stunden später kam das Pferd zurück, nicht aber das Mädchen. Die Polizei des Bezirks ist an der Sache dran, hat jedoch noch nichts herausgefunden. Die Faulets haben mich letzten Freitag kontaktiert. Ich war dabei, Rachels Biographie zusammenzustellen, als ich ihr Foto in der New York Post entdeckte, und daraufhin bin ich heute Morgen aus Portland hierher geflogen.«
Annabel notierte den Namen. Sie wusste nicht, wie weit ihre Kollegen mit der Identifizierung der Personen auf den Fotos vorangekommen waren.
»Ich brauche Ihre Hilfe, Detective. Ich habe den Eltern versprochen, alles Menschenmögliche zu tun, um herauszufinden, ob die schlimmste Möglichkeit eingetreten ist, und alle Elemente zusammenzutragen, die zur Klärung des Falls beitragen.«
»Das Mädchen ist schwanger, sagen Sie? Das ist noch nicht zu sehen, nehme ich an.«
»Nein, wenn sie es nicht gesagt hat, kann ihr Entführer es nicht wissen.«
Nachdenklich stützte Annabel das Kinn auf die Hand. Sie musterten sich eine Weile wortlos.
»Sie sind auf Vermisstenfälle spezialisiert, sagten Sie. Da haben Sie sich aber
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