In Blut geschrieben
Ermittlungen war der Sprecher nicht weiter ins Detail gegangen. Eine ausführliche Erklärung würde später erfolgen. Was die acht Fotos betreffe, sei die Polizei dabei, die Personen zu identifizieren, eine Untersuchung sei eingeleitet worden. Das war der letzte Kommentar. Das bedeutete also, dass das NYPD seine Karten vorerst nicht auf den Tisch legen wollte, was das Interesse der Presse natürlich steigerte. Von einem Serienmörder war die Rede, von dem New Yorker Harvey Glattman, dem Schlächter von Brooklyn. Seit zwei Tagen wurden alle möglichen und unmöglichen Vergleiche vorgenommen.
Der Mann mit der Zeitung verließ das Flugzeug, nahm seinen Koffer in Empfang und ging zum Gepäckschalter. Nachdem er sich ausgewiesen hatte, überreichte man ihm eine weitere Tasche mit einem leuchtend roten Aufkleber ENTHÄLT EINE FEUERWAFFE , den er sofort abriss. Nichts war mehr wie früher seit dem elften September, und was einst ohne größere Probleme im Gepäckraum reisen durfte, unterlag heute der höchsten Kontrollstufe.
Wenn sie tot ist, werde ich wahnsinnig! Ich würde es nicht überleben!
Hör auf, verdammt noch mal, du kannst dir solche Gedanken nicht erlauben. Verdräng sie in eine Ecke deines Hirns, sei bei der Sache und lass die Gefühle beiseite. Vergiss diese Mutter, die um ihr Kind weint. Los, versuch es, tu’s!
Der Passagier durchquerte die Halle des Flughafens und konzentrierte sich auf das Ziel seiner Reise. Die Temperaturen an der Ostküste kamen ihm gar nicht so eisig vor; er war harte Winter gewöhnt und begnügte sich damit, seine Handschuhe überzustreifen, als er hinaustrat und sich auf die Suche nach einem Taxi machte.
Es brachte ihn in vierzig Minuten vom LaGuardia Airport ins Zentrum von Brooklyn. Dort fand der Mann das Hotel, in dem er ein Zimmer gebucht hatte, stellte sein Gepäck ab und nahm unverzüglich und mit leicht wehmütigen Gefühlen die U-Bahn, die er seit zehn Jahren nicht mehr betreten hatte. An der Kreuzung 6th Avenue/Bergen Street fand er das, wofür er die lange Reise angetreten hatte. Ein weißes vierstöckiges Gebäude mit hohen Fenstern und zwei grünen Laternen neben dem Eingang: das 78. Polizeirevier.
*
Annabel schob ihren Teller über den Tresen. Quer über ihre rechte Wange verliefen einige verschorfte Kratzer, ein Andenken an die Putzsplitter bei Spencer Lynch.
»Bekomme ich noch eins, Tanner?«
»Für ’ne Frau kannst du ja eine Menge essen!«
Begleitet vom Lachen eines uniformierten Polizeibeamten, bereitete der Barmann ein weiteres Sandwich zu.
Die Atmosphäre war gastlich, es wurden Witze gerissen, und man musste aufpassen, nicht selbst zur Zielscheibe zu werden. Die meisten Gäste trugen die Uniform des NYPD, die anderen waren Zivilbeamte.
Ein Mann in beigefarbenem Anzug und einer auffällig bunten Krawatte trat auf Annabel zu. Sein schmales Gesicht mit der fliehenden Stirn erinnerte an das eines Fuchses.
»Nun schau nicht so finster drein, O’Donnel, man hat dir den Fall doch nicht entzogen.«
»Klappe, Lenhart.«
Louis Lenhart legte seinen spöttischen Tonfall ab und nahm auf dem Barhocker neben Annabel Platz.
»Scherz beiseite«, sagte er, »Jack Thayer leitet die weiteren Ermittlungen, und du bist in seiner Gruppe, was willst du mehr?«
»Ich finde, man hätte mir die Koordinierung übertragen müssen. Schließlich habe ich einiges in dieser Sache riskiert, Woodbine hätte mich zum Chef der Sonderkommission ernennen müssen.«
»Komm, beruhige dich! Jack ist der ranghöchste Detective. Er ist der Erfahrenste von uns allen, und bei dieser Geschichte darf nichts schief gehen, denk nur an den Druck seitens der Medien.«
»Es geht nicht allein darum. Jack hat das verdient, und ich freue mich für ihn, doch Woodbine hätte uns nicht Bo Attwel aufhalsen dürfen, du weißt selbst, wie das mit diesem Idioten jedes Mal endet. Er ist immer nur auf seinen Vorteil aus. Woodbine hat sein Team schlecht zusammengestellt, das ist alles, und das macht mich stocksauer.«
»Auf alle Fälle bist du mit von der Partie, also, was soll’s? Es ist die Ermittlung eures Lebens!«
»Das ist es ja gerade, Lou! Deshalb müssten wir doch auch nur Top-Mitarbeiter haben. Nehmen wir dich zum Beispiel, du weißt ja, dass ich deinen Stil nicht mag, aber du machst deinen Job gut. Es war ein Fehler, dich nicht der SOKO zuzuteilen.«
Lenhart schien ihre Ansicht zu teilen, er zog die Brauen hoch und meinte: »Gut, sagen wir, der Captain geht auf Nummer sicher und behält ein
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