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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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Karte.
    »Wenn Sie etwas Dringendes haben – meine Handynummer steht auf der Rückseite. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Und noch etwas: Ich habe Ihnen nichts gegeben, all das bleibt unter uns.«
    Brolin nickte leicht verwundert.
    »Nun? Worauf warten Sie? Wollen Sie auch noch mein Büro benutzen?«
    Er schüttelte den Kopf, und ein Lächeln spielte um seinen Mund, das erste, und es tat Annabel gut. Nicht dass sie dem Charme des Privatdetektivs erlegen wäre, sondern mehr, weil sie einen Augenblick geglaubt hatte, nichts könnte den melancholischen Ausdruck dieses Gesichts aufhellen.
    »Ich gehe jetzt, vielen Dank.«
    »Viel Glück mit Rachel«, flüsterte sie, als er schon an der Tür angelangt war.
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    1 Maxime Chattam, Das Pentagramm, München 2006

10
    Die U-Bahn wurde von schrillem Quietschen und eindrucksvollen Funkengarben begleitet, deren bläuliches Licht den an die Fenster gedrückten Gesichtern einen gespenstischen Ausdruck verlieh. Mürrische Phantome, gefangen in der Routine des Alltags, den Blick auf das Nichts der endlosen, nach verbranntem Gummi und heißem Stahl riechenden Tunnel gerichtet, die sie besser kannten als den Weg ihrer eigenen Existenz. Unter ihnen ein schwarzes Augenpaar, über das eine Haarsträhne fiel: Joshua Brolin.
    Die wenigen gelben Lampen, die die Tunnel erleuchteten, erinnerten ihn – wie Lichtpunkte im Chaos seiner Erinnerungen – an die intensiven Zeiten seines Lebens.
    Am frühen Nachmittag kehrte er in sein Hotel zurück und nutzte die Tatsache, dass er der einzige Gast in der Bar war, um die Dokumente zu studieren, die ihm Detective O’Donnel anvertraut hatte.
    Er legte seine alte, abgetragene Lederjacke über einen Barhocker und massierte sich die Schläfen. Wenn man ihn so in seinem grobmaschigen schwarzen Pullover und mit den etwas zu langen Haaren dasitzen sah, konnte man nicht ahnen, dass dieser Mann in Jeans und Straßenschuhen früher einmal beim FBI ausgebildet worden war.
    Mit nur vierunddreißig Jahren hatte der Privatdetektiv bereits einen außergewöhnlichen Erfahrungsschatz gesammelt.
    Keine Zeit zum Grübeln, sagte er sich.
    Er dachte an Rachel Faulet, an das Foto der jungen Frau, das ihre Eltern ihm überlassen hatten. Er zog es aus seinem Portemonnaie. Sie war fröhlich, ein aufrichtiges Lächeln entblößte die weißen Zähne – von ihrem linken Eckzahn war ein kleines Stück abgebrochen, was ihr eigenartigerweise einen gewissen Charme, eine anrührende Verletzlichkeit verlieh. Brolin dachte an das Foto derselben Rachel auf der Titelseite der New York Post, und sein Herz zog sich zusammen. Wo waren die schönen braunen Augen, die Grübchen auf ihren runden Wangen, die Unbeschwertheit geblieben – was war geschehen? Er spürte nur noch Angst, fast Resignation. Sie flehte um Erbarmen, darum, dass es endlich vorbei sein, dass das Leben für sie nicht weitergehen möge, sie wollte nicht mehr. Wie hatten die Eltern diesen Anblick ertragen können?
    Brolin ballte die Fäuste, bis seine Gelenke knackten. Er richtete sich auf und streckte sich, zog eine Zigarette aus seiner Jackentasche und zündete sie an. Es war niemand da, der ihm hätte sagen können, dass das Rauchen hier verboten war.
    Solche Überlegungen über das Opfer führten nirgendwo hin, außer in tiefe Verzweiflung. Es saß da, ließ seinen Blick über die in dem Regal aufgereihten Flaschen gleiten und leerte seinen Kopf mit imaginären Drinks.
    Schließlich griff er zu seinem Notizbuch und wurde wieder sachlich. Er markierte den Namen Walter Sudmak, das war der Perückenmacher, an den Lynch die Haare seiner Opfer verkauft hatte. Dieser Typ war vermutlich nur ein armer Teufel ohne Skrupel, der nichts mit dem Fall zu tun hatte, doch man durfte ihn nicht vernachlässigen. Dann schrieb er »Sheriff Murdoch, Phillipsburg«, die Stadt, in der Rachels Schwester Megan lebte. Rachel war in der Umgebung der Stadt verschwunden, also musste er Murdoch einen Besuch abstatten, eine reine Formsache.
    Brolin schlug die Akte mit den biographischen Angaben der beiden Frauen auf, die Spencer Lynch getötet hatte. Sie umfasste nur wenige Seiten, Auszüge aus den Nachforschungen, die die Polizei anlässlich ihres Verschwindens durchgeführt hatte. Es musste von diesem Lynch einen Weg zu Rachel geben, auch wenn er noch nicht genau wusste, welcher. Selbst wenn Lynch nicht Rachels Entführer war, gab es doch eine Verbindung, das bewies das Foto des jungen Mädchens in seiner Wohnung, der vor Angst leere Blick,

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