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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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Durchatmen.
    »Bei genauerer Prüfung der Akte habe ich meine kleinen Schlüsse gezogen. Meredith ist am Tag ihrer Entführung von zu Hause aufgebrochen, um den Nachmittag in der Kirche zu verbringen. Ihren Eltern hat sie gesagt, sie wolle dem Priester der Gemeinde anbieten, ihm zu helfen, sie wollte gemeinnützige Arbeit leisten. Nach dem Polizeibericht hat der Pater, der die Messe in St. Edwards zelebriert, sie den ganzen Tag nicht gesehen, er gab aber an, dass er den Großteil der Zeit im Presbyterium und nicht in der Kirche verbracht hat. Niemand erinnert sich an ein junges Mädchen wie Meredith, doch es waren an diesem Tag auch nicht viele Leute da. Die Polizei geht davon aus, dass sie auf dem Weg zur Kirche verschwunden ist.
    Sieht man sich die Opfer von Spencer Lynch an, fällt auf, dass sie alle unterschiedlicher Ethnien sind. Das ist bei Serienkillern eher die Ausnahme, denn normalerweise vergreifen sie sich an Personen der eigenen Rasse. Es ist, als wäre Lynch noch auf der Suche gewesen, als hätte er noch nicht genau gewusst, was seine kranke Fantasie stimulieren könnte. Ich denke, für seinen ersten Mord musste er sich Mut machen, deshalb hat er Meredith gewählt, die schwarz ist wie er selbst. Sie ist relativ jung, sehr hilfsbereit, nicht menschenscheu oder misstrauisch. Er kannte sie, zumindest vom Sehen her. Andererseits liegt die St. Edwards Church in Brooklyn Heights nicht in direkter Nachbarschaft seines Verstecks, aber auch nicht am anderen Ende der Stadt, was ihm ebenfalls ein Gefühl der Sicherheit vermittelt haben muss.«
    Annabel wollte einen Schluck von ihrem Mineralwasser trinken, stellte aber das Glas wieder ab.
    »Gut, ich kann Ihrer Logik folgen, sie macht Sinn, doch daraus zu schließen, dass Lynch Meredith kannte, dürfte etwas voreilig sein, finden Sie nicht?«
    »Nein, im Gegenteil. Lynch hat ein umfangreiches Strafregister, vor allem aber handelt es sich um Bagatelldelikte, keine weiteren Fälle von Erregung öffentlichen Ärgernisses oder sexueller Belästigung; letztlich hat er sich ›nur eine‹ versuchte Vergewaltigung zuschulden kommen lassen. Das ist wenig für jemanden, der in den ersten Monaten nach seiner Freilassung drei Sexualverbrechen begeht. Es gibt so gut wie keine Zwischenetappe, und man tötet nicht einfach so mir nichts dir nichts, auch wenn das Fernsehen uns das glauben machen will.«
    »Okay, das weiß ich alles. Doch vielleicht hat Lynch andere Verbrechen begangen, sich aber dabei nicht erwischen lassen!«
    Brolin zuckte wenig überzeugt mit den Schultern.
    »Das würde mich wundern, der ist kein schlauer Fuchs, er hat sich ganz dämlich mit Drogen erwischen lassen und noch idiotischer bei dem versuchten Sexualdelikt. Ich habe die Berichte gelesen. Wenn er sich etwas anderes hätte zuschulden kommen lassen, wäre er sofort geschnappt worden. Ich glaube, das Triebhafte, das ihn veranlasst hat zu töten, steckte schon lange vor seinem Vergewaltigungsversuch in ihm, doch sein mangelndes Selbstbewusstsein hat ihn daran gehindert zu handeln. Er fantasiert vor allem, er stellt sich Dinge vor, seine Sexualität spielt sich in seinen Gedanken ab, nicht in der Realität. Und ich bin sicher, Sie haben in seiner Wohnung Tonnen von pornographischem Material gefunden.«
    »Ja tatsächlich, ganze Stapel von Magazinen.«
    »Das überrascht mich nicht, das sind seine Stimulanzien. Im Gefängnis hatte er alle Zeit dieser Welt, um über die totale Dominierung nachzudenken, die Kontrolle, die Herrschaft – der andere als Sexualobjekt nur für ihn allein. Er konnte davon träumen, sich vorbereiten, vielleicht ohne die Absicht, wirklich zur Tat zu schreiten. Aber es war bereits zu spät, er verspürte diesen Drang. Kurz nach seiner Freilassung handelt er und tötet. Das ging sehr schnell, ein bisschen zu schnell, finde ich. Es gibt einen Auslöser. Kennen Sie die Psyche der Serienmörder, Detective O’Donnel?«
    »Hm, nein, das ist nicht gerade mein Fachgebiet.«
    »Bei all diesen Kriminellen gibt es einen Auslöser für ihren ersten Mord. Oft ist es ein Stressfaktor, den ein ›normaler‹ Mensch meistern würde, wie Geldprobleme, eine Kündigung, eine Scheidung oder gar eine unerwartete Vaterschaft. Für diese Menschen aber bedeutet so etwas einen zusätzlichen Stress, der den Druck noch mehr steigert, sie explodieren und schreiten zur Tat. Bei ihren nachfolgenden Verbrechen ist dieser Auslöser nicht mehr erforderlich, sie haben die Hemmschwelle überschritten. Ich erspare

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