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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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verbracht und versucht, die Ermittlung zu organisieren, die ersten Schlussfolgerungen auszuwerten und offenkundige Spuren zu suchen, doch sie fühlten sich überfordert. Diese Fotos zeigten so viele Männer, Frauen und Kinder, dass sie das Gefühl hatten, vor einem unüberwindlichen Berg an Informationen zu stehen. Und bei jedem Brainstorming tauchten neue Spuren auf. Und als wollte er diese Tatsache demonstrieren, richtete sich Fabrizio Collins auf seinem Stuhl auf und gab zu bedenken: »He! Moment mal! Nicht alle Gruppen sind vertreten.«
    Die kleine Versammlung blickte auf den langhaarigen jungen Mann und dann auf die Wand des Leidens.
    »Es gibt Frauen, von sehr jungen bis zu reiferen, dasselbe gilt für die Männer. Alle ethnischen Gruppen sind vertreten, wenn auch die Weißen in der Mehrheit sind. Aber bei genauer Betrachtung entdeckt man, dass alte Menschen fehlen. Ich würde sagen, der Älteste ist um die fünfzig. Die meisten sind zwischen zwanzig und dreißig.«
    »Stimmt«, pflichtete Thayer ihm bei. »Im Moment ist er der Jüngste.« Er erhob sich und deutete mit dem Zeigefinger auf die Stirn eines Jungen, der so viele Tränen vergossen zu haben schien, dass ihm keine mehr geblieben waren. »Tommy Hickory, acht Jahre, und sie, Carly Marlow, ist genauso alt.«
    Alle Anwesenden, Woodbine ausgenommen, machten sich Notizen. Attwel ließ den Blick über die Sonderkommission gleiten und fasste dann zusammen: »Konkret gesprochen haben wir siebenundsechzig Fotos, eine Art lateinisches Gebet und ein Rätsel auf einer Postkarte. Dazu eine Vielzahl sekundärer Spuren, wie zum Beispiel die Aufstellung von Lynchs Besitztümern, die Analyse des Staubs auf dem Umschlag, die Liste von Lynchs Mithäftlingen …«
    Woodbine nickte.
    »Morgen kommen drei Detectives aus der Zentrale von Brooklyn North zu eurer Unterstützung, doch ihr habt das Sagen.« Der Captain deutete zum Himmel. »Anordnung vom Polizeichef. Die Medien dürfen nichts von den siebenundsechzig Fotos erfahren, ich will keinen zusätzlichen Druck.
    Die Typen von der Zentrale werden euch beim Umgang mit der Presse unterstützen. Ihr gebt ab sofort alle früheren Ermittlungen ab, ich will, dass ihr euch ganz auf diesen Fall konzentriert. Wir müssen uns beeilen. Das FBI stellt uns sein Labor zur Verfügung, und die Staatspolizei hilft uns, wenn nötig.«
    »Wird das FBI sich nicht in die Untersuchungen einmischen?«, fragte Attwel besorgt.
    »Nein. Der Bürgermeister und sogar der Gouverneur haben von diesem Albtraum gehört, und sie wollen, dass die Angelegenheit so diskret wie möglich behandelt wird. Ihr bleibt für die Sache zuständig, aber wir brauchen Ergebnisse – und zwar schnell.«
    Woodbine warf einen erneuten Blick auf die Wand und die vielen verwirrenden Augenpaare.
    »Ich habe die Hoffnung, dass noch nicht alle diese Menschen tot sind«, fügte er leise hinzu.
    Jack Thayer legte eine Hand auf die Schulter des Captains. Die beiden Männer kannten sich schon seit Jahren.
    »Ich … ich an deiner Stelle wäre nicht so optimistisch. Es gibt etwas anderes, worüber wir noch nicht gesprochen haben.«
    Woodbines Nasenflügel weiteten sich, die Nervosität stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Das lateinische Gebet, das wir bei Lynch gefunden haben, wurde mit Blut geschrieben. Das Labor hat uns heute Morgen ein Fax geschickt, es handelt sich um menschliches Blut.«
    Woodbine schloss die Augen und nickte, er war nicht einmal überrascht. Das kam erst, als Attwel hinzufügte: »Das Blut von mehreren Personen wurde vermischt es sind so viele, dass das Labor die genaue Anzahl nicht feststellen kann.«
    Obgleich der Captain ein alter Hase und in dreiundzwanzig Jahren Polizeidienst mit den verrücktesten Fällen konfrontiert gewesen war, hatte er plötzlich den Eindruck, die siebenundsechzig Augenpaare an der Wand würden sich auf ihn richten.
    Die Intensität der Blicke schnürte ihm die Brust zusammen, bis Tränen der Wut in ihm aufstiegen.
    Warum, macht ihr das? Wer seid ihr?
    Aber was ihn noch mehr quälte, war die Frage, wie sich menschliche Wesen zu einer so bestialischen Tat zusammentun konnten, zu einem kalten und berechnenden Wahnsinn, und mit welchem Ziel?
    Irgendwo in dem Büro gluckerte ein Heizkörper. Alle blieben still.

12
    Das dicht bevölkerte New York mit seinen Vororten dehnt sich bis zum Meeresrand aus. Wenn die Nacht ihren Zierteppich ausgebreitet hat, pulsiert dieser riesige Fleck, vom Himmel aus betrachtet, vor funkelndem

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