In Blut geschrieben
ihr Nasenbein brach. Dann ein weiterer schwerer Fausthieb. Brutal. Rachel sah ihr eigenes Blut spritzen. Und noch einer … Bis sie winselte wie der Hund und dann ohnmächtig wurde. Mit der Erinnerung an die grauen, beim Lächeln entblößten Zähne des Mannes verlor sie das Bewusstsein.
Rachel war völlig erschöpft. Sie zitterte seitdem ohne Unterlass.
Ihr Entschluss war gefasst.
Sie musste es tun. Es war ihre letzte Chance. Sie musste es ihm sagen. Dieser Kerl war schließlich ein Mensch, vielleicht würde diese Nachricht bei ihm auch eine menschliche Reaktion auslösen.
In ihrem schrecklichen Verließ klammerte sich Rachel mit der Naivität ihrer Verzweiflung an diese letzte Hoffnung.
Sie wiederholte sich immer wieder, was sie ihm anvertrauen wollte. Das tat sie so oft, bis sie das Rieseln des Wassers und das Winseln des Hundes nicht mehr wahrnahm.
Als sich die Klappe unten in ihrer Tür öffnete und ihr Essen durchgeschoben wurde, hätte es Rachel, die Augen ins Leere gerichtet, fast nicht bemerkt.
Sie stand mühsam auf, und brachte ein schwaches »Warten Sie« hervor.
Jetzt fiel ihr auf, dass der Hund verstummt war.
Nein, du darfst dich nicht ablenken lassen!
»Ich möchte mit Ihnen sprechen.«
Ihre Stimme war rau.
Noch immer keine Reaktion hinter der Tür. Er war da, Rachel erkannte den Schatten seiner Füße. Er wartete.
»Hören Sie«, keuchte sie. »Ich will Ihnen etwas sagen … Ich schwöre Ihnen, dass ich der Polizei nichts verraten werde, ich erfinde eine Geschichte. Außerdem ist es hier viel zu dunkel, ich habe Ihr Gesicht nicht gesehen, ich könnte Sie gar nicht wiedererkennen … Sie müssen mich gehen lassen … Ich … Ich bin schwanger … Ich erwarte ein Kind …«
Sie vernahm ein Geräusch, als sich der Mann an der Tür zu schaffen machte. Er öffnete den selbst gebastelten Spion, und Rachel sah, wie sich seine großen Augen gierig auf sie richteten.
Ein heftiger Schmerz durchzuckte ihren Leib, als sie ihn spöttisch antworten hörte: »Was stellst du dir vor? Das weiß ich natürlich. Deshalb bist du ja hier …«
14
Jack Thayers graue Augen waren auf Annabel gerichtet.
»Das wurde aber auch Zeit«, spöttelte er, »fast hätte ich gewartet.«
Es war Dienstagmorgen, ein trübes Licht fiel in ihr Büro – ein schmaler Raum mit zwei Fenstern.
»Ich habe Attwel und Collins mit der Identifizierung der Personen auf den Fotos beauftragt, wir beide werden uns um die Scharade kümmern«, fuhr er fort.
»Diese Art Psalm auf Latein?«
»Nein, die Postkarte und die Nachricht. Du solltest nicht so viel von diesem Dreckzeug trinken«, meinte er und deutete auf ihren Kaffeebecher, »das zerfrisst deinen Magen.«
Nach ihrem Abend mit Brolin war Annabel spät schlafen gegangen, sie hatte das unwiderstehliche Bedürfnis gehabt, sich einige Fotos von Brady und ihr anzusehen, und hatte so lange an ihn gedacht, bis ihre Tränen auf die Abzüge und die Briefe aus ihrer Anfangszeit getropft waren. Schließlich war sie in dieser Kodak-Welt von Erinnerungen, in den Trost spendenden Armen ihres Mannes, eingeschlafen. Brolins Aufrichtigkeit und seine Worte hatten sie daran erinnert, wie sehr sie ihren Mann vermisste.
»Ach, ehe ich es vergesse, heute Morgen kommt die Verstärkung von der Zentrale Brooklyn North, und uns ist auch einer von denen zugeteilt worden.«
Annabel, die ihre Sachen auspackte, runzelte die Stirn. Thayer griff nach einer Plastikhülle, in der die besagte Postkarte steckte.
»Es gibt keine Fingerabdrücke außer die von Spencer Lynch. Der Kerl, der die Karte unterschrieben hat, dieser Bob ist sehr vorsichtig.«
»Lies mir noch einmal vor, was er geschrieben hat«, bat die junge Frau.
»Du machst Fortschritte. Du machst weniger Fehler. Jetzt musst du lernen, zu werden wie wir. Unsichtbar. Tu den Schritt, zeig, dass du klug bist: In der Familie John Wilkes findest du JC 115. Ein kleiner Hinweis, diese Familie hat die Eingeweide der Erde auf ihrem Rücken getragen! Sie wohnt oberhalb des Delaware … Zeige dich würdig, bis bald, mein kleiner S.«
Thayer erhob sich und schrieb den Text mit einem Stück Kreide an die Tafel, die eine Wand ihres Büros bedeckte.
Daneben notierte er den Psalm, der mit dem Blut verschiedener Menschen an Spencer Lynchs Wand geschrieben worden war: »Caliban Dominus noster, In nobis vita, Quia caro in tenebris lucet. Caliban ist unser Herr, in uns ist das Leben, denn das Fleisch leuchtet in der Dunkelheit.«
»Hast du eine Idee, woher der Name
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