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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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»Man sieht nicht viel, doch es ist trotzdem schön.«
    Sie schmiegte ihren Kopf an das Fell ihres Kragens und blieb stumm. Sie verbrachten noch eine Stunde am Strand, sprachen von allem und von nichts, ganz besonders aber nicht von dem, was ihnen auf der Seele lag, von diesem Geschmack der Tränen. New York war die Stadt der zehn Millionen einsamen Existenzen, und obwohl sie in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich war, war Annabel hier keine Ausnahme. In der Ferne blinkten die Lichter eines Lastschiffes, während es Kurs auf die große Stadt nahm.

13
    Das Schlimmste in der Hölle sind die Geräusche.
    Das spürte Rachel jede Minute, jede Stunde, jeden Tag, den sie hier unter den Verdammten verbrachte. Der Ort musste groß sein, die Schreie der anderen drangen nur gedämpft und genau genommen nur selten bis zu ihr.
    In ebendiesem Augenblick kauerte Rachel Faulet, zwanzig Jahre alt, an einer Felswand, vermutlich in einer Höhle. Das kontinuierliche Rieseln des Wassers wiegte sie nicht mehr in den Schlaf, wie an den ersten Tagen nach all der Aufregung und der Panik. Nein, zu dieser Stunde trieb es sie in den Wahnsinn. Eine kleine Quelle, die aus dem Felsen mitten im Wald sprudelte, hätte man meinen können, zumindest am Anfang. Jetzt erinnerte das Geräusch an Sturzbäche von Geifer, der aus dem Maul des Monsters Alien rann. Und was noch hinterhältiger war: Seine Herkunft ließ sich nicht bestimmen. Es kam von irgendwo hinter der Tür, von oben oder gar aus den »Wänden«. Rachel fühlte sich ständig so, als wäre sie in diese Flüssigkeit getaucht. Die Nässe drang aus allen Ritzen.
    Rachel hatte seit langem jede Spur von Zeitgefühl verloren.
    Natürlich gab es hier weder Sonne noch Mond.
    Trotzdem war sie sicher, dass der Hund seit Stunden winselte. Sie hielt es nicht mehr aus, ihn so klagen zu hören. Ununterbrochen heulte das Tier und stieß kleine schrille Schmerzensschreie aus. Es bettelte, dass man ihm den Gnadenstoß gab, ja genau, der Hund selbst bat darum, getötet zu werden! Er war nicht weit entfernt, hinter der Tür, im Gang. Das Echo seines Leids hallte Ungebrochen bis zu Rachel zurück, ohne an Intensität zu verlieren. Mehrmals hatte er mit den Pfoten an den Wänden gekratzt, das Geräusch war deutlich zu erkennen, dann war er wohl zu erschöpft gewesen, denn man hörte ihn nur noch winseln.
    Rachel kroch zu ihrer Pritsche. Der Raum war schmal, enthielt aber das Minimum, was sie zum Überleben benötigte: eine Wasserschüssel, ein staubiges Bett, dessen verrosteter Sprungfederrahmen entsetzlich quietschte. Und Kerzen als einzige Beleuchtung.
    Wie war es dazu gekommen? Sie wusste es nicht. Sie hatte das Pferd ihrer Schwester genommen, wie sie es mehrmals die Woche tat, seit sie bei Megan wohnte. Ein einstündiger Ausritt ohne Trab, ohne Galopp – sie dachte schon an das Baby nichts als das Gefühl von Stärke und Harmonie zwischen ihr, dem Pferd und dem Wald. Da das Wetter umzuschlagen drohte, war sie umgekehrt, und als sie gerade auf die Wiese reiten wollte, nur hundert Meter von der Straße entfernt, war er aufgetaucht.
    Er war es, der sich hier um sie kümmerte. Er brachte ihr ihre Mahlzeiten. Anfangs geriet sie in Panik bei der Vorstellung, er könnte sie vergewaltigen. Doch das hatte er nicht getan.
    Noch nicht.
    Sie hatte geweint, bis sie nicht mehr schlafen konnte, weil der Schmerz zu heftig in ihrer Kehle brannte. Jetzt fröstelte sie beim geringsten Geräusch. Er suchte sie von Zeit zu Zeit auf, er öffnete die Tür und hockte sich hin, um sie zu betrachten. Er sagte kein Wort. Sein Gesicht war völlig ausdruckslos. Alles lag in seinen Augen.
    Sie funkelten.
    Danach stand er auf und ging. Einmal hatte er kaum die Tür hinter sich geschlossen, als Rachel in der Ferne einen kurzen Schrei vernommen hatte. Den einer Frau. Sie hatte geglaubt, das Weinen eines Kindes zu hören, doch auch das hatte nicht lange gedauert. Und das Rieseln des Wassers dämpfte die Geräusche.
    Sie war noch nicht lange hier, als er mit einer Digitalkamera kam. Er machte ein Foto von ihr, ein einziges. Bevor er ging, richtete er das Wort an sie. Rachel war nicht auf diese Stimme gefasst. Sie war sanft, fast freundschaftlich.
    »Du hast Anspruch auf ein weiteres Foto«, sagte er. »Später, in ein paar Monaten …«
    Rachel stieß einen Schrei aus und stürzte sich auf ihn. Doch er reagierte schnell, schien an solche Situationen gewöhnt, denn er hielt sie sofort fest. Er schlug ihr ins Gesicht, und Rachel hörte, wie

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